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Nationaler Zusammenhalt und Frühfranzösisch

Nationaler Zusammenhalt und Frühfranzösisch

Heftige Reaktionen aus Bern zum Entscheid des Zürcher Kantonsrats, Französisch auf die Oberstufe zu verschieben, waren zu erwarten. Sprachliche Minderheiten reagieren empfindlich, wenn der Eindruck besteht, benachteiligt zu werden. Dieses ungute Gefühl ist in der Romandie rasch zur Stelle, da Französisch durch das vordringende Englisch weltweit an Bedeutung verloren hat.

Englisch ist heute die wichtigste Funktionssprache in der Wirtschaft, der Wissenschaft und im Tourismus. Die digitale Welt verständigt sich auf Englisch und englische Songtexte sind allgegenwärtig. Anglizismen überschwemmen die europäischen Sprachen, auch das Französisch ist davon nicht ausgenommen. Aus der Sicht einer Vielfalt an eigenständigen Kulturen mit reichem Sprachschatz ist das zweifellos bedauerlich. Dazu kommt, dass die junge Lehrergeneration in der Ausbildung primär Englisch wählt, was zu einem empfindlichen Mangel an Französischlehrkräften führt.

Frühfranzösisch wichtiger als unsere Landesgeschichte?   

Leider wird der Kampf von Politikern aus der Romandie für ihr elegantes Französisch auf einem ganz ungeeigneten Terrain ausgetragen. Mit der Behauptung, die Verschiebung des Einstiegs in den Französischunterricht gefährde unseren nationalen Zusammenhalt, wird auf absurde Weise argumentiert. Das Frühfranzösisch im Rahmen des Mehrsprachenkonzepts der Primarschule ist alles andere als eine Erfolgsgeschichte, die es fortzusetzen gilt. Die Resultate sind vielmehr so erbärmlich, dass in vielen Fällen ein Neustart im Französisch der Oberstufe erfolgen muss. Da braucht es schon sehr viel Voreingenommenheit, um das Frühfranzösisch zum nationalen Symbol der eidgenössischen Zusammengehörigkeit zu erheben.

Weit mehr Grund, der Deutschschweizer Bildungspolitik fehlende staatspolitische Weitsicht vorzuwerfen, hätte es beim beschämenden Abbau des Geschichtsunterrichts geben müssen. Geschichtslektionen wurden schrittweise reduziert, Geografie mit Geschichte zusammengelegt und die Fachausbildungen gekürzt. Entsprechend mager sind seither die Kenntnisse unserer Schulabgänger in landesgeschichtlicher und politischer Grundbildung. Doch kaum einen Politiker aus der Romandie störte es, dass das Werden unseres modernen Bundesstaats mit seinen vier prägenden Sprachregionen in Deutschschweizer Schulen arg vernachlässigt wird.

Gescheitertes Experiment mit der frühen Mehrsprachendidaktik

Bei der aktuellen Diskussion ums Frühfranzösisch sticht ins Auge, dass viele Politiker in Bern sich gar nicht um die Voraussetzungen kümmern, die zum Lernerfolg beim Sprachenlernen führen. Für manche ist die Sache erledigt, wenn Frühfranzösisch in der Lektionentafel der Primarschule enthalten ist. Doch damit erweisen sie der Aufwertung des Schulfranzösisch einen Bärendienst. Sie vertrauen noch immer blind einer längst gescheiterten Mehrsprachendidaktik, die das Lernen in englischen und französischen «Sprachbädern» für alle Schüler enorm erleichtern sollte. Es schaudert einen, wenn in Interviews mit Nationalräten zu hören ist, wie das Debakel mit dem Frühfranzösisch einfach negiert wird und die überforderten Kinder dabei ausser Acht gelassen werden.

Die offizielle Schweizer Bildungspolitik muss sich endlich distanzieren von den irreführenden Schlagwörtern wie «Je früher, desto besser» oder «Spielerischer Spracherwerb». Nach zwanzig Jahren Erfahrung mit dem frühen Sprachenlernen ist die Bilanz eindeutig. Nur mit einem klaren Nein zum gescheiterten Mehrsprachenkonzept und einem späteren Einstieg in die erste Fremdsprache in der fünften Klasse kommen wir aus dem Schlamassel heraus. Die Frage, welche Fremdsprache in der Primarschule eingeführt werden soll, wird dabei noch hohe Wellen werfen.

Frühenglisch oder Frühfranzösisch, das ist die Frage

Seit dem Vorpreschen des Kantons Zürich mit Englisch als erster Fremdsprache lag es auf der Hand, dass das Frühfranzösisch ins Hintertreffen geraten würde. Gegenüber der Strahlkraft der anglo-amerikanischen Popkulturen hat die frankophone Kultur in den Augen der meisten Schüler deutlich weniger zu bieten. In den Kantonen östlich der Reuss war es zudem schwierig, den praktischen Nutzen guter Französischkenntnisse plausibel zu machen. Junge Lehrpersonen wählten vorwiegend Englisch als Hauptfach in der Ausbildung, was sich weiter ungünstig auf das Frühfranzösisch auswirkte. Doch diesen Verdrängungseffekt durch das Frühenglisch hätte man zweifellos voraussehen können. Jetzt hat sich das Frühenglisch in vielen Kantonen als erste Fremdsprache installiert und dürfte nur schwer wieder aus der Primarschule zu verbannen sein.

Die Befürworter des Frühfranzösisch können die Solidarität mit der Romandie, wo Deutsch erste Fremdsprache ist, ins Feld führen. Auch die Tatsache, dass das populäre Englisch von den Schülern ohnehin rasch gelernt wird, spricht für einen späteren Beginn des Englischunterrichts.

Die Ausgangslage ist klar: Die EDK wird für ihr Versäumnis, mit dem faulen Sprachenkompromiss keine klaren Entscheidungen getroffen zu haben, nun mit einer happigen Herausforderung konfrontiert. Wohlweislich wird sich die Lehrerschaft nicht direkt in diesen Streit einmischen, um am Schluss den Schwarzen Peter für den schwierigen Entscheid übernehmen zu müssen. Ihr grosses pädagogisches Anliegen bleibt die Abschaffung des gescheiterten Mehrsprachenmodells und die Konzentration auf eine frühe Fremdsprache. Es ist höchste Zeit für die EDK, die Primarschule von ihrer Sisyphusarbeit mit zwei Fremdsprachen zu befreien.

Hanspeter Amstutz
Ehemaliger Sekundarlehrer

2 Responses

  1. Starke Schule beider Basel sagt:

    Artikel gefällt mir …

  2. Daniel Vuilliomenet sagt:

    Warum muss eigentlich immer alles noch früher beginnen? Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.
    Nachdem nun bekannt geworden ist, dass z. B. im Jus-Studium Deutschkurse angeboten werden – als Nachhilfe sozusagen – wäre es doch an der Zeit, über das Aneignen relevanter Grundlagen in den unteren Schulstufen nachzudenken. Wenn bis zu 50% der Schülerinnen und Schüler am Ende ihrer obligatorischen Schulzeit Mühe haben, einen Text in der Unterrichtssprache Deutsch wirklich zu
    verstehen, läuft etwas komplett falsch.
    Und nein – die Bundesrätin Frau Baume-Schneider schneidet nicht Bäume in ihrer Freizeit…

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