2.11.2024
Bildungspolitische Vorstösse üben Druck auf die PH FHNW aus
Die Pädagogische Hochschule PH FHNW gerät zunehmend unter Druck. Immer deutlicher wird die Kritik in der Politik; bildungspolitische Vorstösse, die die PH FHNW in den unterschiedlichsten Bereichen stark kritisieren, nehmen zu. Diese Entwicklung zeigt sich auch im Kanton Baselland. Die Sozialdemokratische Partei (SP) hat an der vergangenen Landratssitzung vom 17. Oktober 2024 fünf Vorstösse eingereicht.
- Der erste Vorstoss von Landrat Jan Kirchmayr (SP) thematisiert den zu geringen oder gar völlig fehlenden Praxisbezug. Weiter kritisiert er, dass die Hürden, um die Lehrberechtigung zu erlangen, teilweise gross sind; beispielsweise mit der Absolvierung eines zusätzlichen Masterstudiums. Im Vorstoss fordert er, dass das Reglement über die Anerkennung von Lehrberufen überarbeitet wird.
- Ein weiterer Vorstoss von Landrat Roman Brunner (SP) bezieht sich auf ein Thema, welches auch die Starke Schule beider Basel (SSbB) seit geraumer Zeit beschäftigt. Der Vorstoss beruft sich auf das komplizierte Belegungssystem der PH FHNW; ein System, welches erhebliche Probleme mit sich bringt. Nicht allen Studierenden ermöglicht das Anmeldeverfahren, sich für ihr Studium benötigte Module einzuschreiben. Dazu kommt, dass das System auch technische Fehler aufweist. Der Landrat fordert deshalb, das Belegungssystem zu überprüfen und mögliche Alternativen und Verbesserungen in Erwägung zu ziehen.
- Der dritte Vorstoss von Landrat Ernst Schürch (SP) befasst sich damit, die Studierenden besser auf den Schulalltag vorzubereiten. Der Studienalltag ist zu wenig auf die effektive Berufspraxis fokussiert und führt dazu, dass die Studierenden nicht genügend auf den Alltag als Lehrperson vorbereitet sind. Ernst Schürch fordert deshalb, dass die Ausbildung der Lehrpersonen stärker auf den effektiven Berufsalltag ausgerichtet werden sollte.
- Der vierte Vorstoss von Landrätin Miriam Locher (SP) bemängelt die fehlende Zusammenarbeit zwischen der PH und den Ausbildungsschulen, insbesondere die Thematik der Tandemdozierenden. Kritisiert wird, dass die Dozierenden der PH vermehrt nicht mehr an Schulen unterrichten, womit allmählich der Praxisbezug verloren geht. Es ist wichtig, dass es eine Schnittstelle zwischen der effektiven Volksschule und der Pädagogischen Hochschule gibt. Die Landrätin fordert den Regierungsrat auf zu prüfen, inwiefern eine solche Art von Tandem in Zukunft aussehen könnte.
- Auch die Praktikumsdauer der PH FHNW wird von der Landrätin Miriam Locher (SP) in einem fünften Vorstoss kritisiert. Sie betont, dass die Zeitdauer des Praktikums vermehrt verkürzt wird, was zu einer schlechteren Ausbildung der Studierenden führt. Der Regierungsrat wird dementsprechend gebeten, eine Verkürzung der Praktika zu verhindern.
- Der sechste bildungspolitische Vorstoss von Landrat Jan Kirchmayr (SP) thematisiert die Ausbildung von Schulleitungspositionen. Jan Kirchmayr macht darauf aufmerksam, dass die Ausbildung für angehende Schulleitungspositionen zu allgemein gehalten wird, da sie für jede Schulstufe dasselbe beinhaltet. Zusätzlich plädiert er für eine Fokussierung der entsprechenden Module. Der Regierungsrat wird dementsprechend aufgefordert, die Ausbildung für angehende Schulleitungen zu überprüfen.
In vergangenen Landratssitzungen wurden auch bereits von bürgerlicher Seite mehrere Vorstösse eingereicht, die heftige Kritik an der Pädagogischen Hochschule äussern. Mit den Vorstössen der Sozialdemokratischen Partei wird die PH FHNW von links und rechts zum Handeln aufgefordert und der Druck auf die Hochschule spitzt sich immer mehr zu.
Die SSbB unterstützt die Einreichung dieser Vorstösse und fordert Parlament und Regierung zu zeitnahen Entscheidungen auf.
Anahi Sidler
Sekretariat Starke Schule beider Basel
27.10.2024
Hausaufgaben – ja oder nein?
Die Hausaufgaben – ein ewiger und hitzig debattierter Zankapfel. Zu meiner Schulzeit keine Diskussion, wird das Thema «Hausaufgaben» heute intensiv beackert. Befürworter argumentieren mit dem vertieften Lerneffekt, Gegner monieren die Hausaufgaben als Killer der Chancengleichheit. Welche Seite hat recht? Gibt es bei beiden Kontrahenten Argumente, die es zu bedenken gilt? Ein Versuch, beide Seiten zu verstehen und gangbare Wege aufzuzeigen.
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Diesen Satz haben wir schon oft gehört und er ist Grundlage, wenn es ums Einfordern von gemachten oder eben nicht gemachten Hausaufgaben geht. Aus der Kontrolle resultieren dann ggf. Sternchen, Strafpunkte, Seiten, die (ab) zuschreiben sind oder gar Arrest. Das war zu meiner Schulzeit Standard und hat sich je nach Klassenzimmer nicht geändert – bis heute.
Verschiedene Ansätze
Viele Eltern begrüssen Hausaufgaben – ebenso viele Eltern lehnen sie z. T. entschieden ab. Der allabendliche Stress, der mit dem Satz beginnt: «Hast du deine Hausaufgaben gemacht?», ist ein Stimmungskiller im trauten Heim und führt zu übereilten Aktionen, bei denen nicht selten Mama oder Papa (oder sogar beide) schliesslich am Tisch sitzen und knobeln. Das aber kann nicht Sinn der Sache sein. Deshalb sind Lehrpersonen dazu übergegangen, die Hausaufgaben in ihren Fächern zu ersetzen und entsprechende Übungszeit während ihren Lektionen zur Verfügung zu stellen, was dem modernen Lernansatz des Coachings eh Rechnung trägt. Oftmals geschieht dieses Üben im Team von zwei oder mehreren Schülerinnen und Schülern, was auch noch soziale Aspekte des Unterrichtens fördert. Alles bestens?
Die wertvolle Zeit mit sich allein
Die Befürworterinnen und Befürworter von Hausaufgaben, die gemäss dem Wort auch zuhause gelöst werden sollten (und zwar in der Regel allein), argumentieren mit dem Zuwachs an Selbstvertrauen, der auch in Prüfungssituationen zum Erfolg beiträgt. Das ist nicht von der Hand zu weisen. Es gilt, dem Kind etwas zuzutrauen und es nicht ständig zu «behelikoptern». Irgendwann kommt sowieso der Moment, wo Papa und Mama nicht mehr an der Seite stehen und helfen.
Die Gegnerinnen und Gegner führen die Chancengleichheit ins Feld. Es muss nicht immer sein, dass schlussendlich die Eltern die Hausaufgaben lösen – Eltern können auch coachen, erklären und psychologisch unterstützen. Dagegen ist gar nichts einzuwenden, wenn es nicht im Übermass geschieht. Doch nicht jedes Kind hat eine solch ideale Situation zuhause. Ist der Spracherwerb auch noch ein Thema, werden die Ansprüche schnell zu hoch.
Die Lösung?
Eine schnelle Lösung für dieses Problem gibt es nicht, wohl aber gute Ansätze. Ich habe in meinem Unterricht Hausaufgaben für freiwillig erklärt. Lösungswege wurden regelmässig offengelegt, Prüfungen fanden statt. Damit entfiel auch das lästige Kontrollieren. Meinerseits kommuniziert wurde: Hausaufgaben lösen ist eine sehr gute Prüfungsvorbereitung, lediglich Lösungen abschreiben hingegen nicht. Das zielt auf Eigenverantwortung, die aber nicht bei jedem Schüler, jeder Schülerin gegeben ist und zudem vom Alter abhängt. Doch auf Einsicht schaffen, war und ist mein pädagogisches Credo und damit bin ich 40 Jahre lang gut gefahren. Inklusive war, schwächere Schülerinnen und Schüler zu beobachten und sie hin und wieder zu begleiten, sei es in einer Extrastunde oder sogar (z. T. am Wochenende) über WhatsApp.
Auch die Schule als Organisation kann helfen, den Hausaufgabenstress abzubauen. Vielerorts ist ein Zeitgefäss «Hausaufgabenhilfe» o. ä. geschaffen worden, dass ein- bis mehrmals pro Woche angeboten wird, u. U. sogar täglich. Dort können Hausaufgaben unter Aufsicht und Beratung seitens erfahrener Lehrpersonen erledigt werden. Bonuspunkte dieser Organisationsform sind einerseits der soziale Aspekt und andererseits die in diesem Rahmen zwingend einzufordernde handyfreie Zone. So entfällt auch die Ablenkung durch TikTok u. ä.
Daniel Vuilliomenet
ehemaliger Sekundarlehrer
22.10.24
Stofflehrplan deutlich beliebter als der Lehrplan 21
Vor geraumer Zeit hat die SSbB eine kurze Umfrage bezüglich Lehrplan auf der Sekundarstufe 1 durchgeführt. Befragt wurden einige Baselbieter Lehrpersonen, mit welchem Lehrplanteil «Lehrplan 21» oder «Stofflehrplan» sie arbeiten. Zudem konnten die Teilnehmenden die Brauchbarkeit der beiden Lehrplanteile auf einer Skala von 1 bis 10 beurteilen. Von 80 Sekundarlehrer/-innen erhielten wir eine Rückmeldung.
Die Auswertung gibt Preis, dass nur 1.2% ausschliesslich mit dem «Lehrplan 21» und knapp jeder fünfte hauptsächlich mit dem Lehrplan 21 arbeitet. Im Vergleich dazu arbeiten 27.2% ausschliesslich mit dem «Stofflehrplan» und 29.6% hauptsächlich mit dem «Stofflehrplan». (siehe Grafik)
Die durchschnittlich Zufriedenheit mit dem «Stofflehrplan» ist mit einem Wert von 7.1 relativ hoch. Der «Lehrplan 21» erreicht hingegen gerade mal eine 2.4. Ankreuzen konnten die Lehrpersonen einen Wert zwischen 1 und 10. (siehe folgende Grafiken)
Die Lehrpersonen auf der Sekundarstufe 1 sind mit dem «Stofflehrplan» deutlich zufriedener sind als mit dem «Lehrplan 21».
Anahi Sidler
Sekretariat Starke Schule beider Basel
21.10.2024
Ist Integrative Schule moralisch vertretbar?
Die Umstrittenheit der integrativen Schule ist längst kein Geheimnis mehr. Dennoch geraten Lehrpersonen meist in einen inneren Konflikt der Moral und ihres eigentlichen Bildungsauftrages. Der Gedanke, dass keine Kinder ausgeschlossen werden sollen und allen eine Chance geboten werden soll, ist an sich richtig und wichtig. Jedoch gilt es sich bei dieser Moral auch der anderen Seite bewusst zu sein, denn häufig leiden darunter andere Schülerinnen und Schüler sowie überforderte Lehrpersonen, die sich nicht mehr auf ihr Kerngeschäft konzentrieren können.
Wenn verhaltensauffällige Kinder in Regelklassen unterrichtet werden, scheinen sie zwar integriert zu sein, doch was ist der Preis dafür? Den meisten Kindern mit besonderen Bedürfnissen, kann diese Form von Unterricht nicht gerecht werden. Es fehlt an individueller Unterstützung und Betreuung von Fachpersonen. Dies bleibt schlussendlich an der Klassenlehrperson hängen, was in vielen Fällen in absoluter Überforderung und Abnahme der Unterrichtsqualität resultiert. Es wäre also nicht nur für die betroffenen Kinder selbst, sondern auch für die Lehrpersonen ein sinnvoller Schritt, Kleinklassen flächendeckend wiedereinzuführen. Die spezifische und effektive Förderung von Schülerinnen und Schülern mit besonderen Bedürfnissen soll im Vordergrund stehen.
Lena Bubendorf
Vorstand Starke Schule beider Basel
18.10.2024
Studierende üben heftige Kritik an der PH FHNW
Seit Jahren schneidet die Pädagogische Hochschule PH FHNW in Umfragen schlecht ab. Die Kritik der Studierenden ist heftig: «katastrophale Zustände» ,«ineffiziente Abläufe», «nicht umsetzbare und wenig hilfreiche Lerninhalte», «chaotisches Einschreibeverfahren», «wenig studierendenfreundlich», «nicht ausreichend auf den Lehrberuf vorbereitend», «schlechte Kommunikation» — so die deutlichen Worte der Studentinnen und Studenten.
Die folgenden Aussagen, die im Wortlaut wiedergegeben werden, sind von Studierenden und ehemaligen Studierenden der PH FHNW 2024 gemacht worden und liegen der Starken Schule beider Basel (SSbB) vor.
Zitate von Studierenden und ehemaligen Studierenden der PH FHNW
- «In gewissen Modulen werden den Studierenden Dinge beigebracht, die in der Praxis nicht umsetzbar sind. Die Praxisnähe und was wir lernen im Studium wird auch stark von den Praxislehrpersonen kritisiert. In ihren Augen kommen wir Studierenden von Jahrgang zu Jahrgang schlechter vorbereitet in die Praktika.»
- «Das Studium ist insgesamt sehr akademisch und theoretisch aufgebaut. Ich fände es gut und wichtig, wenn nebst Praktika auch Module mit ausführlichem Kommunikationstraining angeboten würden.»
- «In der gesamten Ausbildung zur Lehrperson wird die Elternarbeit nie angesprochen. In meinem Arbeitsalltag nimmt die Elternarbeit etwa 20% des Arbeitspensums ein. Es wäre daher sehr hilfreich, wenn wir im Studium bereits eine Vorstellung oder eine Idee mitbekommen hätten, wo beispielsweise die Schwerpunkte liegen sollten an einem Elternabend, oder wie ein Elterngespräch (Standortgespräch) strukturiert werden kann. Mit welchen Mitteln ein Standortgespräch gestaltet werden könnte. Eventuell auch, welches unsere Rechte sind, falls Eltern mit rechtlichen Schritten drohen.»
- «Das Studium der PH FHNW lässt sich nicht wirklich mit der Tätigkeit als Lehrperson vereinbaren.»
- «Viele Module werden leider als reine Frontal/Vorträge gestaltet.»
- «Niveau A braucht andere Fähigkeiten als Niveau P. Dem wird die PH nicht gerecht.»
- «Die FHNW hat zu wenig Praxislehrpersonen. Daher sind sie froh um jede Praxislehrperson, die den Job macht. Wie gut die Praxislehrperson ist, wird von der FHNW jedoch nicht kontrolliert. Es gibt Praxislehrpersonen, die uns während unserer geplanten Lektionen allein gelassen haben, Elterngespräche in dieser Zeit durchführten, in ein verlängertes Wochenende gefahren sind während unseres Praxistages und uns anschliessend noch Feedback gegeben haben, ohne dass sie uns richtig zugesehen hat. Es gibt eine Praxislehrperson, die uns alle Tage im 3-wöchigen Basispraktikum unterrichten hat lassen, obwohl dies nicht unser Auftrag war. Nachdem wir sie darauf angesprochen haben, hat sie uns gedroht, dass wir in Erinnerung behalten sollen, dass sie entscheidet, ob wir das Praktikum bestehen oder nicht. Nach den Praktika erfolgt eine Online-Evaluierung über die Praxislehrperson. Den Namen der Praxislehrperson wollte die FHNW jedoch nicht wissen. Trotz dem sehr negativen Feedback über die Praxislehrperson und der Angabe unserer Kontaktdaten, kam die FHNW nie auf uns zu. Dementsprechend fühlten wir uns nicht sehr ernst genommen.»
- «Ich fühle mich zu wenig auf den Lehrberuf vorbereitet (keine Ahnung von Elternarbeit oder Arbeit im pädagogischen Team, Umgang mit herausfordernden SuS, pädagogischer Diagnostik, Erstellung von Zeugnissen usw.).»
- «Im Grundstudium in der Modulgruppe EWBU (Erziehungswissenschaften Bildung und Unterricht) mussten wir 9 Pädagogen und ihre Philosophien lernen. Ja, es ist wichtig zu wissen, woher gewisse Ansätze der Pädagogik herkommen. Bringt es mir aber etwas dieses ganze Wissen für eine Prüfung auswendig lernen zu müssen und an einer 30’ Prüfung wieder auszuspucken, ohne zu lernen, wie ich diese Ansätze in der Praxis umsetzten kann? Ein weiteres Beispiel ist ein Modul, das wir ebenfalls im Grundstudium besuchen mussten und zur Modulgruppe EWIL (Erziehungswissenschaften Individuum und Lebenslauf) gehört. In diesem Modul ging es um das Kindeswohl. Grundsätzlich sehr wichtiges Thema für mich als Lehrperson. Wir haben jedoch ein halbes Jahr Texte gelesen und dazu Verständnisfragen beantwortet und das Modul mit einem wissenschaftlichen Kommentar beendet. Uns wurde in diesem Modul nicht erklärt, auf welche Institutionen wir zugehen sollen oder müssen, wenn das Kindeswohl nicht gewährleistet ist, und wie wir uns als Lehrperson verhalten sollen.»
- «Von all den Lerninhalten, die ich gelernt habe, kann ich im Beruf vielleicht 10% davon benutzen.»
- «Während des Studiums lernen wir die Institutionen, die essenziell für unseren Arbeitsalltag sind, nicht kennen. Solche Institutionen sind z.B. Fachstelle für Psychomotorik, Logopädie, Schulsozialarbeit, Schulpsychologischer Dienst etc.»
- «Es ist nicht vertretbar, von den Studierenden 8 Wochen Sprachaufenthalt zu verlangen.»
- «Als Person über 30 bereitet mir das Studium finanzielle Sorgen. Ich arbeite zu 30%, während ich das Studium Vollzeit absolviere.»
- «Die PH kommuniziert undifferenziert, und daher ist es in der E-Mail- und Informationsflut schwierig, keine relevanten Informationen zu verpassen.»
- «Vielen Dozenten ist es wichtig, dass wir ihre veröffentlichten Papers und Texte lesen oder mit ihren Materialien arbeiten, die durch sie veröffentlicht wurden. Daher sind die Module in einem Thema dann auf eine Richtung beschränkt, da das Modul so ausgelegt ist, dass die Materialien des/der Dozierende/n benötigt und benutzt werden. Werbung in eigener Sache steht über dem breiteren fachlichen Wissen.»
- «Während des ganzen Studiums lernen wir im Bereich der Entwicklungspsychologie sehr sehr wenig.»
- «Wir arbeiten jeden Tag mit Kindern, die inmitten einer Entwicklungsphase stecken und wissen nicht wie diese Phase heisst, was charakteristisch ist für diese Phase oder wie wir die Kinder in dieser Phase unterstützen können. Natürlich können die Kinder nicht in Schubladen gesteckt werden. Trotzdem wäre es sehr hilfreich zu wissen, welche Dinge die Kinder gerade entwickeln und was sie brauchen oder sie gerade überfordert. Die Basics der Entwicklungspsychologie wären für unseren Alltag sehr von Vorteil, um adäquat auf das Kind zu reagieren und es mit Handlungen unsererseits nicht zu frustrieren.»
- «Informationen (Praktika, Modulübersicht, An-/Abmeldung, Bachelor etc.) kommen oft zu knapp oder gar zu spät.»
- «Die PH ist so unorganisiert und löst einen extremen Stress für uns Studierende aus.»
- «Der organisatorische Aufwand an der PH Muttenz ist zu gross. So geht ein grosser Teil meiner Studienzeit für die Organisation und Administration drauf.»
- «Es ist sehr schlecht, dass die Benotung der Module nach der ersten Belegungsphase stattfindet. So kann man ja gar noch nicht wissen, ob man die Module bestanden hat.
- «Die Einschreibung, bevor die Stundenpläne der meisten Schulen definitiv sind, machen das Arbeiten an der Schule schwieriger und verlängern die Studienzeit.»
- «Das Belegungsfenster sollte auf jeden Fall früher öffnen und schliessen, sodass nicht alle irgendwann in den Ferien sich damit herumschlagen müssen.»
- «Ich sehe nicht, wie ich mein Studium definitiv in den drei vorgesehenen Jahren abschliessen soll.»
- «Während des Einschreibens werden Studierende aus dem Heilpädagogikstudium, Studierende aus dem Sozialpädagogikstudium oder aus anderen Studienstandorten so bevorzugt. Bedeutet, dass sie bereits definitiv eingeschrieben sind, bevor die regulär Studierenden (aus Muttenz) sich einschreiben dürfen. Bedeutet: Wenn das Anmeldeportal aufgeht, sind von 25 Plätzen bereits 5 vergeben und ca. 150 Studierende kämpfen darum einen Platz in diesem Modul zu bekommen.»
- «Von meiner Seite aus kann ich sagen, dass mich das ESP jedes Mal enorm stresst, weil ich Angst habe, die Module, die ich gerne belegen würde oder müsste, gar nicht besuchen zu können. Ich finde es tragisch, dass man darum kämpfen muss, dass man überhaupt Vollzeit an dieser Hochschule studieren kann.»
- «In den meisten Modulen können sich ca. 25 Studis einschreiben, was einfach viel zu wenig ist.»
- «Es kann nicht sein, dass sich über 50 Personen für ein Modul anmelden und es bei der Nachbelegungsphase nur 2-3 Plätze mehr gibt.»
- «Das ganze ESP sollte geändert werden. Es sollte eine normale Anmeldung geben, ohne auf die Warteliste zu rutschen.»
Handlungsbedarf ist angezeigt
Seit Jahren ist die PH FHNW der gleichen Kritik ausgesetzt. Zwar beteuert die Direktionsleitung mantramässig, die Kritikpunkte ernst zu nehmen und nachhaltige Veränderungen anstreben zu wollen. Relevante Verbesserungen stellen sich jedoch keine ein.
Die mit vielen Steuermillionen alimentierte Bildungsinstitution PH FHNW muss sich bewusst sein, dass sie eine Dienstleistung für die Studierenden zu erbringen und nicht eine selbstherrliche, von einer bestimmten Ideologie getriebene Schaltzentrale zu sein hat. Handlungsbedarf ist angezeigt: Erste politische Vorstösse sind im Baselbieter Landrat bereits eingereicht worden.
Einerseits soll das heutige Anmeldeverfahren grundsätzlich in dem Sinne geändert werden, dass Studierende grundsätzlich ein Anrecht darauf haben, die Kurse ihrer Wahl besuchen zu können. Die heutige Präsenzpflicht soll zudem, abgesehen von einzelnen Ausnahmen, aufgehoben werden.
Andererseits soll die Ausbildung der Sekundarlehrpersonen differenziert erfolgen. Dies sollte abhängig davon geschehen, ob die Lehrpersonen künftig das allgemeine Leistungsniveau und Kleinklassen unterrichten oder ob sie hauptsächlich die beiden fachlich anspruchsvolleren Niveaus E (erweitertes Niveau) und P (progymnasiales Niveau) unterrichten.
Eine hohe Ausbildungsqualität erreicht die PH FHNW keinesfalls durch eine strukturelle Gängelung der Studierenden, welchen unnötigerweise Steine in den Weg gelegt werden. Den angehenden Lehrpersonen soll eine sehr gute praxisorientierte Ausbildung ermöglicht werden. Für den Lehrberuf wenig hilfreiche Lerninhalte und Leerläufe gilt es zu streichen. Dadurch kann zudem die Ausbildungszeit ohne Qualitätsverlust reduziert werden, sodass die angehenden Lehrpersonen auch bereits Stellvertretungen und Kleinpensen übernehmen können.
Es liegt auf der Hand: Eine inhaltlich, didaktisch und strukturell unzureichende Ausbildung der künftigen Lehrpersonen an der PH FHNW schlägt sich unmittelbar auf die Qualität des Unterrichts an den verschiedenen Schulen nieder, an denen die Lehramtskandidierenden später unterrichten werden. Wenn man möchte, dass die Unterrichtsqualität an den öffentlichen Schulen insgesamt nicht noch weiter abnimmt oder idealerweise sich wieder verbessert, dann ist zuallererst bei der Ausbildung der künftigen Pädagoginnen und Pädagogen anzusetzen.
Jürg Wiedemann
Vorstand Starke Schule beider Basel
14.10.2024
Verbot von Hausaufgaben würde zum pädagogischen Bumerang
Die Starke Schule beider Basel (SSbB) erachtet Hausaufgaben als pädagogisch wertvolles Mittel. Nicht nur kann dabei gelernter Unterrichtsstoff gefestigt werden, sondern auch zahlreiche überfachliche Kompetenzen, wie beispielsweise Selbständigkeit, Ausdauer und Selbstreflexion, werden mit Hausaufgaben gefördert. Zudem tragen sie dazu bei, dass die Schere im Bildungswesen nicht noch weiter auseinanderdriftet. Deshalb befürwortet die SSbB die Beibehaltung von Hausaufgaben in einer sinnvollen Menge.
Chancengleichheit
Die Chancengleichheit der Schülerinnen und Schüler soll im Vordergrund stehen, denn sie beeinflusst die Leistungsunterschiede und die Qualität unseres Bildungswesens erheblich. Bildungsnahe Eltern, die die Wichtigkeit von Hausaufgaben erkennen, insbesondere das Repetieren des in der Schule gelernten Stoffes und das selbstständige Aneignen von Fähigkeiten, werden ihre Kinder auch ohne offizielle Hausaufgaben zum Lernen ausserhalb der Schule bewegen. Dahingegen sind Kinder benachteiligt, die eine solche elterliche Unterstützung nicht erhalten. In der Folge würde die Schere zwischen den leistungsstarken und leistungsschwachen Schülerinnen und Schüler weiter auseinanderdriften.
Das Einknicken vor dem jugendlichen Lustprinzip
Es ist unbestritten, dass Kinder oft für sie unangenehme Arbeiten zu vermeiden versuchen; so zum Beispiel Aufräumen, Mithilfe im Haushalt leisten oder eben Hausaufgaben lösen. Vielfach sind diese Arbeiten aus ihrer kindlichen Sicht weder sinnvoll noch anregend und auch nicht emotional positiv konnotiert. Ein Kind sieht diese Tätigkeiten nicht als zielführend an, da es das Ziel darin nicht erkennt. Somit entsprechen diese Aktivitäten normalerweise nicht dem Lustprinzip eines Kindes, welches naturgemäss im Hier und Jetzt lebt und sich altersentsprechend kaum rational mit tieferem Sinn, Bedeutung und Auswirkungen auseinandersetzt.
Ein Kind, das in den ersten Schuljahren keine positiven Assoziationen mit Haus- und anderen Aufgaben hat machen können, wird diesen auch als Jugendlicher vermutlich nicht viel abgewinnen. Das «Unlustprinzip» wird nun insofern begründet, dass Hausaufgaben Freizeit verschlingen würden, die mit Sinnvollerem verbracht werden könnte. Hier wird oft vorgegaukelt, dass die Jugendlichen wegen den Hausaufgaben sämtliche privaten Interessen und ihr Familienleben aufgeben müssten und in Stress gerieten. An dieser Stelle liesse sich hingegen in der Tat ein Diskurs über den heute zum Teil inflationären Gebrauch von Handy, Instagram, Netflix, Youtube, Snapchat und Co. führen.
Überblick für Eltern
Durch Hausaufgaben wird den Eltern ermöglicht, einen Einblick in den Unterricht zu erhalten. Nicht nur erfahren sie, welcher Stoff behandelt wird, sondern auch die Art und Weise wie dieser vermittelt wird und welche Lern- und Arbeitstechniken angewandt werden. Keinesfalls sollten die Schülerinnen und Schüler aber ihre Aufgaben nur zusammen mit den Eltern lösen, geschweige denn von ihnen lösen lassen. Vielmehr können die Eltern für ihre Kinder ein geeignetes Lernumfeld ohne Nebengeräusche oder Ablenkungsfaktoren wie beispielsweise das Handy schaffen.
Der tiefere Sinn von Hausaufgaben
Der tiefere Sinn von Hausaufgaben ist denn auch mitnichten einfach ein Verlagern von Lernzeit vom Klassenzimmer in die heimische Stube oder stupides Repetieren, sondern eine individuelle Überprüfung dessen, was in den Unterrichtslektionen gelernt worden ist. Anhand von Hausaufgaben lässt sich überprüfen, ob man den Schulstoff wirklich verstanden und gefestigt hat und effizient anwenden kann. Die Schülerinnen und Schüler erkennen anhand ihrer Kompetenzen, prüfungsrelevante Hausaufgaben lösen zu können, in welchem Umfang und in welcher Qualität sie auf die anstehenden Prüfungen vorbereitet sind. Das Resultat davon ist unter anderem auch eine geringere Vorbereitungszeit auf Prüfungen, weil dann der Schulstoff nur noch aufgefrischt werden muss. Desgleichen übt man sich in Ausdauer, Gewissenhaftigkeit, Selbständigkeit und kritischem Beleuchten der eigenen Fähigkeiten. Inhaltliche Probleme mit dem Schulstoff treten hier rechtzeitig zutage und können anschliessend im Unterricht im Sinne der Chancengleichheit angegangen werden, was wiederum Frustration zu vermeiden hilft, wenn Schüler vermeintlich alles verstanden haben und sich dies jedoch bei Lichte betrachtet nicht bewahrheitet.
Gezielte Förderung
Aber auch die Hausaufgaben per se können nicht über einen Kamm geschert werden. Um mit Paracelsus’ Worten zu sprechen, entscheidet hier ebenfalls die Dosis: Was für den einen Schüler gut und angezeigt sein mag, kann sich für einen anderen Schüler als unnötig erweisen, da dieser bereits über die erforderlichen Fähigkeiten verfügt. Dies liesse sich umgehen, indem beispielsweise auf ein bestimmtes vernünftiges Minimum (oder Maximum) an Quantität oder Zeit fokussiert wird, mit Möglichkeiten der Steigerung bei Bedarf – so viel, wie nötig eben. Oder die Lehrperson offeriert eine Serie an Aufgaben oder Fragestellungen zur Überprüfung auf freiwilliger Basis. Hier gäbe es bestimmt noch weitere pädagogisch wertvolle Ansätze, die je nach Klasse, Leistungsniveau, Alter oder Klassenzusammensetzung sinnvoll variiert werden könnten. Hausaufgaben können, wenn sie richtig eingesetzt werden, ein geeignetes Mittel für Lehrpersonen sein, individuell auf die Stärken und Schwächen der Schülerinnen und Schüler einzugehen. Demnach können stärkere Schülerinnen und Schüler durch Knacknüsse herausgefordert werden, während bei den Schwächeren der Fokus auf die Festigung der Grundlagen gelegt wird.
Unterrichtsumstellung
Wenn Hausaufgaben wegfallen, wirkt sich dies nicht nur negativ auf die Lernfähigkeit und Weiterentwicklung der Schülerinnen und Schüler aus, sondern würde auch eine Umstellung des Unterrichts bedeuten. Die Lehrpersonen müssten mehr Repetitionszeit in ihren Unterricht einbauen und damit würde die Zeit zur Erarbeitung von neuem Stoff verringert. So ginge wertvolle Unterrichts- und Lernzeit verloren, was einen weiteren Bildungsabbau zur Folge hätte. Der zu erfüllende Lehrplan könnte kaum mehr bewältigt werden.
Die SSbB erachtet Hausaufgaben in einer sinnvollen Menge als pädagogisch wertvoll und wichtigen Beitrag zur Chancengleichheit unserer Schülerinnen und Schüler sowie der Erhaltung des Bildungsniveaus. Deswegen lehnt die Starke Schule beider Basel ein kategorisches Verbot von Hausaufgaben dezidiert ab.
Lena Bubendorf
Vorstand Starke Schule beider Basel
13.10.2024 - Gastbeitrag aus Zürich
Ein starker Verein mit grosser Wirkung
Es gibt kaum ein heisses Eisen, welches die Starke Schule beider Basel seit ihrer Gründung nicht angefasst hat. Dort wo der Lehrerschaft der Schuh drückt oder Eltern Unterstützung in drängenden Schulfragen benötigen, ist die Starke Schule präsent. Es ist nicht vorsichtiges Abwägen, das den mutigen Basler Verein auszeichnet. Sein initiatives Führungsteam überzeugt mit einem pragmatischen Ansatz, schulische Schwachstellen in klaren Worten zu benennen und engagiert für überzeugende Lösungen einzutreten.
Warum hat die Starke Schule dabei oft mehr Erfolg als die grossen Lehrerorganisationen wie beispielsweise der LCH? Es gibt dafür diverse Gründe, doch zwei Erfolgsgaranten stechen hervor: die eigenen Umfragen zu brennenden Schulthemen und die vom Verein initiierten 16 Volksinitiativen. Mit einer gewissen Unbekümmertheit und ohne Angst vor heftigem Widerstand oder politischen Niederlagen ist der junge Verein ans Werk gegangen. Diese Tatkraft hat sich bezahlt gemacht. Durch manche der Umfragen wurde ein Schlaglicht auf die Schulentwicklung geworfen, wie man dies von den offiziellen Stellen her bisher nicht kannte. Die Volksinitiativen wiederum setzten jahrelang blockierte politische Prozesse in Gang und führten zu überzeugenden Lösungen.
Eigene Umfragen ergeben ein aussagekräftigeres Bild der Schulrealität
Eindrückliches Beispiel einer ohne Scheuklappen durchgeführten Erhebung war der Fragebogen betreffend die schulische Integration aller Kinder und Jugendlicher in die Regelklassen. Nachdem der LCH und andere grosse Lehrerverbände es nicht gewagt hatten, dieses heisse Eisen anzurühren, sprang die starke Schule in die Lücke. Die Umfrage stiess sofort auf ein riesiges Interesse. Offensichtlich war der Leidensdruck durch die dogmatisch umgesetzte Integration bei den betroffenen Lehrpersonen so gross, dass es zu einer eigentlichen «Chropfleerete» kam. 90 Prozent der Befragten waren mit dem aktuellen Modell der Integration unzufrieden und forderten grundlegende Änderungen. Der Ärger bei den Befürwortern des integrativen Systems über diese Umfrage war erheblich, doch die in Grafiken festgehaltenen Resultate ergaben ein klares Bild des Desasters. Auflagenstarke Zeitungen und Bildungsblogs wandten sich sofort dem umstrittenen Thema zu. Mit einem Mal standen Klassenlehrpersonen im Brennpunkt und schilderten, wie sehr die radikale Integration den täglichen Unterricht belastet. Die meisten Befragten gaben an, dass das Integrationsmodell das Leistungsniveau in ihren Klassen spürbar gesenkt habe. Diese für Schulpraktiker kaum überraschende Aussage sorgt seither für viel Diskussionsstoff, da sie in deutlichem Gegensatz zu Schlussfolgerungen aus wissenschaftlichen Studien steht.
Ungefilterte Auskünfte über heikle Themen aus der Schulpraxis zu erhalten, ist eine schwierige Angelegenheit. Lehrpersonen sind in der Regel äusserst vorsichtig mit kritischen Äusserungen gegenüber vorgesetzten Stellen. Die grossen Lehrerverbände wissen um die Problematik und halten sich deshalb zurück. Umso mehr sind die teilweise anonymen Fragebögen der Starken Volksschule Gold wert. Journalisten haben längst gemerkt, dass Pressemitteilungen der Starken Schule Fundgruben für Informationen aus erster Hand sind. Die Erhebungen ergeben in ihrer Gesamtheit ein weitgehend unverfälschtes Bild der Schulrealität und tragen zu mehr Transparenz im dichten Dschungel des bildungspolitischen Geschehens bei.
Vom Verein initiierte Volksinitiativen führen zu praxistauglichen Lösungen
Bahnbrechend zugunsten einer tatsächlichen Methodenfreiheit und mehr freiem Gestaltungsraum für Lehrpersonen war der hartnäckige Kampf der Starken Schule im Bereich der Lehrmittel. Aufgrund von Rückmeldungen aus der Schulpraxis war man im Führungsteam des Vereins längst im Klaren, dass das Lehrmittel Passepartout in eine didaktische Sackgasse führte. Folgerichtig lancierte man eine Volksinitiative für eine Wahlmöglichkeit bei den Lehrmitteln. Die von der Politik schliesslich breit unterstützte Idee hatte am Ende Erfolg. Etwas neidvoll blickt man als Zürcher auf die Baselbieter Politik, wo es offenbar führenden Köpfen gelingt, über den eigenen Schatten zu springen und offensichtliche Fehler zu korrigieren. Dank dem Anstoss durch die Initiative ist ein Gesetzesartikel formuliert worden, der den Basler Lehrpersonen weitgehende Wahlfreiheit bei den Lehrmitteln erlaubt.
Die Erfolgsgeschichte der Starken Schule weist eine ganze Reihe von Volksinitiativen mit bedeutenden Anliegen auf. So sind aufgrund von Initiativen entweder durch einen direkten Volksentscheid oder nach Formulierung eines akzeptablen Gegenvorschlags markante Verbesserungen in den Basler Schulen erzielt worden. Die unseligen Sammelfächer im Bereich der Realienfächer sind längst Geschichte und der von der Starken Schule initiierte übersichtliche Stoffplan hat den überladenen Lehrplan 21 in der Schulpraxis abgelöst. Es ist symptomatisch, dass sich die Basler Lehrkräfte nicht damit begnügten, den neuen Lehrplan einfach zu ignorieren, wie dies in anderen Kantonen geschieht. Man wollte ja sagen zu einem Bildungskompass, welcher klare inhaltliche Jahresziele enthält. Das finde ich konstruktive und ehrliche Bildungspolitik.
Ein unverzichtbarer Verein, der Lehrpersonen und Eltern Mut macht
In einer Zeit aufwühlender pädagogischer Diskussionen ist die Stimme der Starken Schule unverzichtbar. Eine Organisation, die Lehrpersonen Mut zum eigenen Denken macht und sich von der angeblichen Wissenschaftlichkeit fragwürdiger Bildungskonzepte nicht einschüchtern lässt, ist ein Leuchtturm für die Volksschule. Aber auch unzählige Eltern mit einem positiven Draht zur Schule wissen, dass sie sich auf die Starke Schule verlassen können. Sie haben erlebt, dass sich der Verein aktiv gegen Schulexperimente auf Kosten der Kinder wehrt. Sie wissen, dass der Verein ein Lehrerbild vertritt, das Vertrauen schafft. Man will keine farblosen Coachs, die nur als Begleitpersonen im Schulzimmer den Unterricht indirekt steuern oder sich die meiste Zeit hinter einem Bildschirm verstecken.
Was im Baselbiet und in jüngster Zeit auch in Basel Stadt bildungspolitisch abläuft, ist für Schweizer Verhältnisse aussergewöhnlich. Da schafft es ein unbequemer Verein in guter Zusammenarbeit mit dem Basler Lehrerverein, die Bildungspolitik auf positive Weise mitzuprägen. Sicher war es eine glückliche Konstellation, dass auch umsichtige Politikerinnen und Politiker verschiedener Couleur ins Boot geholt werden konnten. Auf jeden Fall ist es beeindruckend, dass ausgetretene Pfade des Misserfolgs verlassen wurden und die Basler Schulpolitik offensichtlich auf den Weg des kreativen Pragmatismus eingeschwenkt ist.
Das Team der Starken Schule verkörpert in seiner Grundhaltung den pädagogischen Mut einer Lehrerschaft, welche die Schule in ihrem Kernbereich selbst gestalten will. Dieses freiheitliche Verständnis von Bildung gilt es in den kommenden Wertediskussionen rund um die Digitalisierung des Unterrichts und das selbstorganisierte Lernen hochzuhalten. Ich bin sicher, dass wir Zürcher spätestens bei der 17. Volksinitiative der Starken Schule wieder gebannt nach Basel blicken werden.
Hanspeter Amstutz
Ehemaliger Bildungsrat und Sekundarlehrer, Fehraltorf ZH
11.10.2024
Integrative Klassen – Lehrkräfte lassen kein gutes Haar an Inklusion
Fast 90 Prozent der Lehrer wollen integrative Schule anpassen. Lehrkräfte in Basel kritisieren die Inklusion von verhaltensauffälligen Kindern. Eine Umfrage zeigt, dass fast 90 Prozent eine Überarbeitung des Systems fordern, um den Unterricht für alle Schüler effektiver zu gestalten.
Seit 20 Jahren ist die Inklusion in der Schweiz gesetzlich verankert – auch in der Schule. Über Sinn und Unsinn der integrativen Förderung von Kindern und Jugendlichen streiten Experten, Parteien und Lehrkräfte jedoch bis heute. Eine Umfrage aus dem Raum Basel zeigt nun: Kaum eine Lehrkraft ist mit der aktuellen Handhabung zufrieden.
An der anonymen Befragung des Vereins Starke Schule beider Basel nahmen insgesamt 786 Personen teil. 664 davon sind selbst Lehrpersonen – die Mehrheit auf Primarstufe. Sie lassen an der Einschulung behinderter Kinder, verhaltensauffälligen Jugendlichen oder Schülerinnen und Schüler mit psychischen Erkrankungen kein gutes Haar: Für fast 90 Prozent sei klar, dass die integrative Schule, wie sie heute durchgeführt wird, überdacht und korrigiert werden müsse.
Umgang mit verhaltensauffälligen Kindern unbefriedigend
Das vernichtende Urteil begründen die Befragten jedoch auf verschiedene Arten. Ein Teil ist der Ansicht, dass Schülerinnen und Schüler mit ausserordentlichen Bedürfnissen durch die Einschulung mit leistungsstärkeren überfordert werden. Andere Kommentare schreiben von einem umgekehrten Effekt. Nämlich, dass begabte Kinder durch die Inklusion zurückgehalten würden.
Insbesondere die Integration von Kindern, die verhaltensauffällig sind, wird kritisiert. Ein Grossteil der Umfrageteilnehmer ist der Meinung, dass diese zu einem bedeutenden Leistungsabfall der gesamten Klasse führe. Fast drei Viertel geben auf einer Skala von 0 bis 10 mindestens eine 7 an.
Grosser Wunsch nach Sonderklassen
Uneinig sind sich die Befragten, ob dies bei lernschwachen Kindern ebenfalls der Fall ist. Diese stören zwar den Unterricht nicht, bedeuten aber einen hohen Betreuungsaufwand. Je ein Drittel der Befragten sieht den Einfluss als gering (0 bis 3), mittelmässig (4 bis 6) und hoch (7 bis 10) an.
So oder so: Der Wunsch nach Sonderklassen ist hoch. 63 Prozent der Befragten fordern eine flächendeckende Einführung von Förderklassen. Im Kanton Baselland werden diese nur noch teilweise eingesetzt. Im Kanton Basel-Stadt sind sie bereits seit 2011 abgeschafft. Vor zwei Wochen krebste das Basler Kantonsparlament jedoch zurück: Zukünftig sollen sie zumindest für Schülerinnen und Schüler mit Lernschwäche oder Lernstörungen wieder möglich sein.
Lehrer-Verein sieht grossen Handlungsbedarf
Verhaltensauffällige Kinder bleiben somit in den Regelklassen. Das scheint aber trotz des grossen Unmuts auch im Sinne der befragten Lehrkräfte und bildungsinteressierten Personen: Sie sehen die Kleinklassen für Schülerinnen und Schüler mit Lernschwäche in der Umfrage als deutlich sinnvoller an als für verhaltensauffällige Störenfriede.
«Die Umfrage zeigt unmissverständlich: Lernwirksamer Unterricht für alle ist nur mithilfe von Kleinklassen möglich», schreibt Starke Schule beider Basel zu den Umfrageergebnissen. Für den Verein zeigen die Antworten sofortigen Handlungsbedarf an. Unter anderem brauche es eine bessere Ausbildung der Lehrpersonen sowie das Einfordern von Anstandsregeln und die Förderung des sozialen Verhaltens der Schülerinnen und Schüler. Dabei seien auch die Eltern gefordert, schreibt der Verein. Sie sollen ihre Erziehungspflichten wahrnehmen.
Joschka Schaffner
Journalist Blick
[Quelle: Blick vom 29 September 2024, abgedruckt mit der Erlaubnis des Blicks]
09.10.2024
Abschaffung der Hausaufgaben bedeutet Rückschritt
Die Kritik: Hausaufgaben stellen eine ungebührliche Belastung sowohl für die Schülerinnen und Schüler, als auch für die Eltern dar.
Die Kritik an den schulischen Hausaufgaben flammt immer wieder auf. Im Wesentlichen werden folgende Punkte genannt:
- Den Eltern wird aufgebürdet, bei den Hausaufgaben zu helfen. Da nicht alle dazu in der Lage sind, besteht eine krasse Chancenungerechtigkeit.
- Hausaufgaben stehlen den Schülerinnen und Schülern Freizeit, die sie zur Erholung und für schulunabhängige Aktivitäten (Sport, Musik, Tanz, etc.) benötigen.
- Die Schule ist der Ort des Lernens. Alle notwendigen Arbeiten sollten deshalb in der Schule unter Aufsicht und Betreuung durch die Lehrpersonen ausgeführt werden.
Sind diese Vorhaltungen gerechtfertigt?
Zunächst fällt an diesem kritischen Rundumschlag auf, dass Hausaufgaben pauschal und undifferenziert abgelehnt werden. Weder wird nach der Art von Aufgaben unterschieden, noch werden die unterschiedlichen Altersstufen der Kinder und Jugendlichen bezüglich Hausarbeiten separat betrachtet. Alles wird in denselben Topf geworfen. Eine solche Pauschalität ist unqualifiziert, populistisch und einer ernsthaften Diskussion nicht würdig. Bei einer medizinischen Therapie würden sofort alle einsehen, dass es manchmal genügt, ein Mittel einzunehmen oder sich einer Massagesitzung zu unterziehen. Oft reicht dies jedoch nicht aus und Patientinnen und Patienten müssen auch ausserhalb der Praxis noch zusätzliche und zeitaufwändige Anstrengungen unternehmen, um gesund zu werden.
Das Lernen wird automatisch einer beruflichen Tätigkeit gleichgestellt, die im Büro, in der Fabrik, auf der Baustelle oder in einer ÖV-Fahrerkabine erledigt werden kann. Wenn die Arbeit erledigt ist, kann man abschalten und erholt sich zu Hause. Ein gewaltiger psychologischer Irrtum, tägliche Berufsarbeit auf schulisches Lernen zu übertragen! Lernen unterscheidet sich von einer Arbeitsleistung dadurch, dass sich Schülerinnen und Schüler grundsätzlich neue Dinge zu eigen machen müssen. Sie erfahren Neues, müssen dieses ausprobieren, im Gedächtnis verankern, mit früher Gelerntem verknüpfen, anwenden, wiederholen und üben, schliesslich sich damit in einer Prüfung bewähren. Lernen lässt sich nicht einfach wie Berufsarbeit «erledigen» und vom privaten Leben abzirkeln. Das Gesagte spricht nicht gegen Freizeitaktivitäten und Erholungsphasen, bei denen Schülerinnen und Schüler auch einmal abschalten dürfen.
Ein Teil der Kritik ist durchaus gerechtfertigt
Hausaufgaben können unergiebige Formen annehmen, wenn sie z.B. als Strafe konzipiert werden, wenn sie eine reine Beschäftigungstherapie darstellen, wenn sie Unterricht ersatzweise vermitteln sollen, weil die Zeit in der Schule dafür gefehlt hat, wenn sie Fähigkeiten voraussetzen, die noch nicht vorhanden sein können, wenn von Anfang an klar ist, dass sie nur mit elterlicher Hilfe zu bewältigen sind etc. Dies sind professionelle Fehler, die Hausaufgaben leicht in Verruf bringen und zu Recht angeprangert werden.
Hausaufgaben müssen gewisse Standards einhalten
- Aufgaben müssen für die jeweilige Alters- und Niveaugruppe aus dem Unterricht erwachsen und deshalb ohne elterliche Hilfe lösbar sein.
- Aufgaben müssen eine sinnvolle Lernleistung im Zusammenhang mit dem Unterricht darstellen: z.B. Übungssequenzen, Wörter einprägen, behandelte Überlegungen auf Neues übertragen, Stoff für Prüfungen wiederholen, etc.
- Aufgaben müssen einen angemessenen zeitlichen Rahmen einhalten, der dem Alter und der Reife angepasst ist.
- Aufgaben haben erst einen Sinn, wenn Kinder in der Lage sind, diese in ihrem Zweck zu verstehen und sie als notwendigen Teil des Lernvorganges zu akzeptieren.
- Die Hilfe der Eltern sollte sich darauf beschränken, für einen ruhigen Arbeitsplatz zu sorgen und ihren Kindern eine Tagesstruktur dafür zu ermöglichen.
- Aufgaben können sich sowohl auf den vorangehenden Unterricht beziehen, wenn es darum geht, Stoff zu verarbeiten, als auch auf künftige Lektionen, wenn es darum geht, gedankliche Vorleistungen zu erbringen, die im kommenden Unterricht genutzt werden können.
Funktion der Hausaufgaben
Im Sinne dieser sechs Punkte stellen Hausaufgaben in bestimmten Phasen einen wichtigen Teil des Lernprozesses dar, besonders in höheren Schulstufen der Primarschule und der Sekundarstufe. Lernen findet nämlich idealerweise in einem Wechselspiel statt: Einerseits braucht es den sozialen Rahmen der kundigen Anleitung und des Austausches mit der Lerngruppe im Unterricht. Anderseits ist Lernen eine persönliche Hirnleistung, die nicht ausgelagert werden kann und rein individuell ablaufen muss. Hier können Hausaufgaben eine wichtige Stütze bilden.
Daneben sind Hausaufgaben ein wichtiger Beitrag zum selbstständigen Umgang mit der eigenen kognitiven Entwicklung. Sie fördern die Fähigkeit und das Selbstvertrauen, die nötig sind, um zu erkennen, dass man Lernen nicht auf andere abschieben oder zeitlich abzirkeln kann, sondern dass mit dem Lernen eine ganzheitliche Veränderung der eigenen Person einhergeht, die das Leben bereichert. Es ist stossend, dass ausgerechnet die Kreise, die individuelles und selbstständiges Lernen propagieren, Hausaufgaben abschaffen wollen, obwohl diese tatsächlich einen wichtigen Schritt hin zu eigenverantwortlicher Tätigkeit darstellen und damit ein Baustein in der Entwicklung zur Selbstständigkeit sind.
Felix Schmutz
08.10.2024
Leichtes Gepäck
Gefedertes Mountainbike oder wendiger Strassenflitzer? Komfortable Luftmatratze oder ultraleichte Isomatte? Flauschiger Sommerschlafsack oder nächtliches Bibbern? Diese Fragen stellte sich neulich mein Sohn, bevor er sich auf den Sattel seines sorgfältig ausbalancierten Gravelbikes schwang und gut gelaunt gegen Westen davonradelte.Was für eine mehrtätige Velotour gilt, gilt erst recht für den komplexen Schulbetrieb, der auf Dauer nur funktionieren kann, wenn sich die Menge an Aufgaben, der Qualitätsanspruch und die zur Verfügung stehende Man- resp. Womanpower die Waage halten.
In einem hörenswerten Podcast aus der Reihe «Psychologie fürs Klassenzimmer» legt der renommierte neuseeländische Bildungsforscher John Hattie Lehrpersonen und Schulleitungen ans Herz, gewachsene Strukturen regelmässig auf deren Wirksamkeit betreffend Berufszufriedenheit, Unterrichtsqualität und Lernerfolg hin zu überprüfen.
Mögliche Fragen sind etwa: Führt eine höchst ausladende Lektüreprüfung tatsächlich zu aussagekräftigeren Resultaten? In welcher Zeit lässt sich ein wertschätzendes und zielführendes Standortgespräch bewerkstelligen? Welche Art von «School-Happenings» wirken sich nachweislich positiv auf die Sozialkompetenz der Schülerinnen und Schüler aus? Wie effektiv sind Umfang, Form und Inhalt teilautonomer Sitzungsgefässe im Hinblick auf die Unterrichtsqualität? Welche schulinterne oder kantonal verordnete Fortbildung hat Ihren Berufsalltag nachhaltig erleichtert?
In einem zweiten Schritt empfiehlt Hattie, unwirksamen und oft zeitraubenden Konzepten konsequent auf den Leib zu rücken: «Reengineer, replace, reduce» – zu Deutsch: umgestalten, ersetzen, verkleinern.
Vor dem Hintergrund des anhaltenden Lehrpersonenmangels ist diese intelligente Vorgehensweise kein Luxus, sondern Pflicht. Ich bin davon überzeugt, dass Schulen, die mit den vorhandenen Ressourcen des bestehenden Personals verantwortungsvoll umzugehen wissen, mittel- und langfristig besser gegen den Lehrpersonenmangel gewappnet sein werden.
Der LVB sieht eine der erfolgversprechendsten Massnahmen daher in einer gezielten schulinternen Befragung, mit der flächendeckend eruiert werden soll, was an den einzelnen Schulstandorten verändert – umgestaltet, ersetzt und verkleinert – werden müsste, um Pensenreduktionen zu verhindern respektive Pensenerhöhungen zu ermöglichen.
Wovon auszugehen ist: Eine kluge, auf den Ergebnissen so einer Befragung basierende Priorisierung…
- steigert Effizienz und Produktivität;
- festigt die Gesundheit der Mitarbeitenden und fördert ihre Berufszufriedenheit;
- ermöglicht Pensenerhöhungen bzw. verhindert -reduktionen;
- stärkt das Kerngeschäft und erhöht die Unterrichtsqualität…
… und sorgt somit dafür, dass ausgebildete und erfahrene Lehrpersonen dort stehen, wo sie am meisten gebraucht werden: im Klassenzimmer!
Der vom LVB mehrfach in entsprechenden Gremien eingebrachte Vorschlag hat beim Amt für Volksschulen (AVS) schliesslich verfangen: Es ist vorgesehen, die vom LVB skizzierte Befragung in die nächste kantonale Mitarbeitendenbefragung zu integrieren.
Nichtsdestotrotz appelliert der LVB an die Schulleitungen, so eine Befragung in ihren Kollegien bereits jetzt durchzuführen, auszuwerten und anhand der Resultate anschliessend Bewährtes zu pflegen und unnötigen Ballast abzuwerfen. Wie die grosse LVB-Umfrage zu den Belastungsfaktoren im Lehrberuf vor knapp zwei Jahren eindrücklich aufgezeigt hat, ist der Leidensdruck etwa im Bereich Administration und Sitzungsdichte besorgniserregend hoch. Von klug abgeleiteten Massnahmen im Geiste Hatties würden schlussendlich alle Beteiligten profitieren: Lehrpersonen, Schulleitungen und – an erster Stelle – unsere Schülerinnen und Schüler.
PS: Mein Sohn kehrte wohlbehalten von seiner Velotour durch den Jura und das Seeland zurück. Mit einem Lächeln im Gesicht sagte er: «Du hattest recht. Es reist sich besser mit leichtem Gepäck.»
Philipp Loretz
Präsident Lehrerinnen- und Lehrerverein Baselland
06.10.2024 - Basler Zeitung
Bekanntester Lehrer der Schweiz fordert Mustafa Atici
«Wieso sind Basler Schüler so schlecht?» Alain Pichard, Praktiker und kritischer Begleiter des Bildungssystems, ist seit über 40 Jahren im Klassenzimmer tätig. Im Streitgespräch duelliert er sich mit dem SP-Regierungsrat.
Man mag es ja nicht mehr hören, aber manchmal ist die Wahrheit einfach: ziemlich schmerzhaft. Basels Schulen, Basels Schüler: Ihr Ruf war auch schon mal besser. Dabei leistet man sich gemäss Bundesamt für Statistik im kantonalen Vergleich doch die teuersten Schüler. Die dafür die schlechtesten sind. Man hat, natürlich, eine Mega-Maturitätsquote. Dafür aber die meisten Studienabbrecher. Eine weitere unerfreuliche Folge dieses Akademisierungswahns: Städtische Betriebe stellen lieber Lehrlinge von ausserhalb an. Von der Landschaft, aus Solothurn, dem Aargau. Die Berufsbildungsquote, in der Schweiz sowieso nicht zufriedenstellend, ist in Basel selbstverständlich noch einmal tiefer. Nur 85 Prozent aller 25-Jährigen haben einen Berufsabschluss. Ist die Basler Schule noch zu retten? Und wie kann eine solche Misere überhaupt entstehen, in einem so reichen Kanton? Ist es eine Form spätrömischer Dekadenz? Wird es wie in Sodom und Gomorrha?
Vielleicht, vielleicht ändert sich da aber gerade doch etwas, schliesslich ist seit Mai dieses Jahres ein neuer Erziehungsdirektor im Amt: Mustafa Atici, Sozialdemokrat, Unternehmer. Er will es besser machen als seine beiden liberaldemokratischen Vorgänger, die sich noch für jede - schiefgegangene - Reform begeistert haben. Okay, mittlerweile ist das auch nicht mehr sakrosankt; es entbehrt etwa nicht einer gewissen Ironie, dass Christoph Eymann, jahrelang einer der vehementesten Verfechter der integrativen Schule, diese in der «SonntagsZeitung» kürzlich kritisiert hat. Aber wie nur will das Atici gelingen? Will ers wirklich? Und: Ist das überhaupt möglich?
Diese Fragen gehen auch an Alain Pichard. Der «bekannteste Lehrer der Schweiz» («SonntagsZeitung») wirkt seit 45 Jahren in den Klassenzimmern dieses Landes. Pichard (68), eigentlich längst pensioniert, unterrichtet auch jetzt wieder als Vertretung an einer Brennpunktschule in Biel. Weil er es nicht lassen kann. Weil es ihn immer noch braucht (Lehrermangel). Der in Basel aufgewachsene Pädagoge ist einer der schärfsten Kritiker des Lehrplans 21 - und vieler Schulreformen der letzten Jahre. Frühfranzösisch, frühere Einschulung, Integration, Digitalisierung, Individualisierung. «Vieles ist schlicht und einfach gescheitert.» Einst politisch für die Grünen aktiv, ist er seit 2016 bei den Grünliberalen tätig - und seit zwei Jahren ist er Grossrat im Kanton Bern. Pichard, das kann man sagen, ist einer, der seine Meinung sagt, offen, kompromisslos, aber immer dialogbereit. Im Frühjahr dieses Jahres hat er in einem Podcast der «Basler Zeitung» gesagt - es war gerade Wahlkampf, Atici war erst Kandidat fürs Erziehungsdepartement -, dass der SP-Mann nicht «so viel Ahnung von Bildung» habe. In den Reihen der Genossen war man darüber empört. Atici dagegen nahms gelassen, zumindest gegen aussen, sofort sagte er zu, sich seinem vielleicht pointiertesten Kritiker zu stellen. Er wird auch wissen, dass er nur der Empfänger von Pichards Botschaften ist.
Der eigentliche Adressat ist das Erziehungsdepartement. Und in rund 150 Tagen im neuen Job kann man, auch wenn man nun Chef ist, nicht wahnsinnig viel gewinnen, aber auch nicht viel verlieren. Trotzdem muss Atici bereits wieder wahlkämpfen. Für sich werben, seine Ideen präsentieren, sie verteidigen. Gegen Pichard ist das, erfahrungsgemäss, nicht immer ganz einfach. Doch das Gespräch beginnt mit einer Überraschung.
Pichard: Ich muss Ihnen gleich etwas sagen, Herr Atici. Als ich gesagt habe, dass Sie nicht so viel Ahnung hätten in gewissen Bildungsfragen: Da habe ich danach ordentlich aufs Dach bekommen von Roland Stark, unserem gemeinsamen Freund. Ich möchte das in unserem Duell nachher gern differenziert ausführen.
Atici lächelt milde, er mag diese Debatten sogar, wie er sagt, «ohne Scheuklappen», auch mit Kritikern. Er will nicht nur Jasager um sich haben, er will von den Menschen ehrliche Meinungen hören. Bei Pichard ist das kein Problem.
Pichard: Als Lehrer muss ich Ihnen gratulieren. Pro Schüler wendet Ihr Kanton 25’000 Franken pro Jahr auf. Schade nur, dass dieses löbliche Engagement in der Bildung in miserablen Ergebnissen mündet.
Atici: Da gebe ich Ihnen insofern recht, als die Leistungen besser werden müssen. Aber ich wehre mich, wenn es heisst, dass wir einfach Geld für nichts ausgeben. Wir haben grosse Probleme beim Schulraum, da geben wir für Neubauten viel aus, wir rüsten massiv auf, um der Digitalisierung gerecht zu werden. Und man muss auch sehen: Es ist normal, dass in einem Stadtkanton mehr Probleme vorhanden sind. Wir haben viel mehr Schülerinnen und Schüler, die Sondersettings brauchen. Das kostet auch.
Pichard: Ich bin froh, dass Sie nun nicht gesagt haben, dass dies allein wegen der hohen Quote an Kindern mit Migrationshintergrund so ist. Früher haben Sie sich jedoch - wie auch Ihre Vorgänger - so verlauten lassen. Denn das kann nicht der Grund sein. In Biel etwa, wo wir mindestens so viele Migrantenkinder haben, sind die Kosten pro Schüler viel kleiner. Aber ich frage Sie nochmals: Wieso sind die Ergebnisse trotz solch horrenden Ausgaben so schlecht?
Atici: Es gibt, wegen der angesprochenen Herausforderungen, eine gewisse Überforderung im System. Aber ich möchte unbedingt betonen: Das hat nichts mit den Lehrpersonen zu tun. Sie machen einen hervorragenden Job.
Der Regierungsrat sagt diesen Satz mit Nachdruck. Viele Lehrer waren nicht nur glücklich, als in der BaZ im August über ein Atici-Interview getitelt wurde: «Es braucht von den Lehrern mehr Engagement». Diese Berufsgattung wird ungern kritisiert - was man nachvollziehen kann, wenn man bedenkt, wie stark die Bürokratie gestiegen und das Ansehen gesunken ist. Natürlich: Das war in erster Linie eine Kritik an die BaZ, die eine Teilaussage Aticis durchaus prägnant dargestellt als Titel ausgewählte hatte. Aber es war auch zu hören, dass die Überzeugungen ihres obersten Chefs auch nicht gerade allen gefallen haben. Wars zu wenig sozialdemokratisch? Zu unternehmerisch, zu sehr mit Fokus auf die Berufslehre?
Alain Pichard lächelt, als er diesen Sätzen lauscht. Er weiss, wie heikel es ist für einen Exekutivpolitiker, sich mit den Lehrern (eine grosse, wichtige Wählergruppe, gerade für Sozialdemokraten) anzulegen. Auch er ist in seiner eigenen Zunft nicht nur beliebt, um es vorsichtig auszudrücken.
Pichard: Wir müssen die Realität ansprechen. Doch das fällt vielen Lehrern schwer. Ein Beispiel: Wir reden immer über die verhaltensauffälligen Schüler. Die sind schwierig, ohne Zweifel. Es gibt aber ganz viele Schüler, die sind leistungsschwach, aber sehr lieb, sehr ruhig. Zwischen diesen und den Lehrern gibt es ein katastrophales Agreement. Der Schüler tut so, als würde er lernen und verstehen. Und der Lehrer tut so, als würde er es glauben. So geschehen zwei schlechte Dinge gleichzeitig: Probleme bleiben unausgesprochen und folglich ungelöst. Und der Schüler wird viel zu wenig gefördert, eigentlich auf ein Abstellgleis gestellt.
Atici: Damit mehr Ruhe einkehrt und auch die stillen Schülerinnen und Schüler, ob stark oder schwach, besser miteinbezogen werden, werden ja nun dort, wo sie nötig sind, Förderklassen kommen. Dahinter stehe ich. Ich bin sehr froh, sieht dies das Parlament auch so. Das ist ein erster wichtiger Schritt.
Pichard: Das unterstütze ich, und ich möchte Sie für Ihre Haltung beglückwünschen. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Bei der integrativen Schule war viel Wunschdenken dabei. Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen und sage: Kleinklassen brachten Schutz - und nicht Stigmatisierung für die Kinder.
Das ist in Basel-Stadt aber weiterhin eine Minderheitsmeinung. Selbst den nun beschlossenen Kompromiss, der die Förderklassen-Initiative obsolet macht, sehen (vor allem linke) Politiker und Verwaltungsangestellte im Erziehungsdepartement nach wie vor kritisch. Aber immerhin: Wenn eine Schule künftig nach Förderklassen ruft, dann dürften diese kommen. Weiterhin im Fokus stehen aber auch Lerninseln und Fördergruppen. Pichard fragt deswegen provokativ: «Haben Sie Ihr Departement im Griff? In Basel gibt es ja das Bonmot: Im Erziehungsdepartement ist es der Verwaltung egal, wer ihnen als Regierungsrat unterstellt ist.» Atici lacht und kontert: «Das sagt man ja auch beim Bundesrat. Damit komme ich klar. Ich bin der Chef, ich möchte entscheiden - und werde das auch tun.»
Was braucht es dann, um die Leistungen der Basler Schülerinnen und Schüler zu verbessern, mehr Berufsabschlüsse zu erreichen und die Lehrer zu entlasten?
Atici: Wichtig ist, und damit sprechen wir gleich alle Punkte an, dass wir jetzt sofort schauen: Welche Massnahmen braucht welcher Schulstandort? Es ist klar: Nicht überall braucht es Förderklassen. Aber dort, wo die Missstände offenkundig sind, sollen sie schon nächstes Jahr da sein. Dann: Wir müssen zwingend einen besseren Austausch zwischen den Eltern und den Schulen hinkriegen.
Pichard: Da bin ich völlig bei Ihnen. Die Eltern dürfen die Erziehung nicht den Schulen überlassen. Das geschieht immer mehr. Nur wenn den Eltern klargemacht wird, für was die Schule da ist - und für was nicht -, kann dieses Verständnis gefördert werden. Und, noch wichtiger: Die Eltern müssen an ihre Pflichten erinnert werden.
Atici: Das fordere ich seit 15 Jahren. Es kann nicht sein, dass alles an den Lehrpersonen hängen bleibt. Jetzt scheint mir, dass Kompromisse möglich sind. Früher haben mir Linke gesagt: Du verlangst zu viel von Migrantinnen und Migranten. Und die Rechten sagten: Du produzierst zu viel Bürokratie. Heute scheint mir hier mehr Ehrlichkeit und Realitätssinn da zu sein. Das ist positiv.
In dieser Endphase des Gesprächs finden sich die beiden Diskutanten immer öfter. Pichard lobt: «Sie sind an Ergebnissen interessiert. Ich auch. Was wirkt, was wirkt nicht?» Und Atici gibt zurück: «Natürlich, ich kenne das ja als Unternehmer. Ich kann keine Bilanz verdrehen, nur weil es mir nicht passt. Also sage ich nicht: Alles kommt gut. Sondern ich stehe hin und gebe Ziele vor, weil ich etwa die schlechte Berufsbildungsquote nicht akzeptieren kann.»
Sicherlich, ginge es nach Pichard, könnte man ruhig mehr auf die Weisheit der Praxis vertrauen. «Viele Reformen haben sich nicht bewährt oder sind gescheitert. Man sollte den Mut haben, diese zurückzubauen.» Weniger Geld für «Prunkbauten» - er meint neue teure Schulhäuser -, weniger Digitalisierungswahn («Kinder sind keine Studenten»). Hier ist Atici weniger kritisch, etwa beim Geldausgeben oder bei den digitalen Hilfsmitteln. Man kann sich aber auf etwas einigen. Dass es in der Schweiz, selbst in Basel-Stadt, immer noch einigermassen gut ist, dieses Bildungssystem - und dass man ihm zwingend Sorge tragen muss. Mehr denn je.
Pichard: Wir haben zwar noch keine No-go-Schulen wie in anderen Ländern, aber die pädagogische Situation ist in vielen Klassenzimmern beunruhigend. Wir haben immer mehr Lehrkräfte ohne Ausbildung. Die Leistungen sinken. Die Schüler gehen zu lange in die Schule und hängen am Schluss des Tages in den Seilen. Ein Lektionenabbau würde Ressourcen frei machen für einen qualitativ besseren Unterricht.»
Atici: Zum Glück haben wir noch keine No-go-Schulen. Wir werden alles daransetzen, dass unsere Kinder mit den besten Voraussetzungen unterwegs sind, dass sie mit einem starken Rucksack für die weiterführenden Schulen und die Arbeitswelt bereit sind. Etwas anderes können wir uns nicht leisten. Wir sind ein Bildungs-, Forschungs- und Innovationskanton. Und ich sage Ihnen noch etwas: Ich habe in meinem Politikerleben einige private Termine verpasst, aber nie die Elternabende meiner zwei Buben. Bildung ist das Wichtigste für unsere Kinder.
Pichard: Wir müssen einfach aufpassen, dass dies auch so bleibt. Und uns nicht damit zufriedengeben, besser als das Ausland zu sein. Einen Anteil von 25 Prozent an Schülerinnen und Schülern, die nicht lesen und schreiben können, dürfen wir nicht hinnehmen, auf keinen Fall. Wir müssen wieder besser werden. Und nicht einfach immer teurer.
Sebastian Briellmann
Journalist der Basler Zeitung
[Quelle: Basler Zeitung vom 29. September 2024, abgedruckt mit Erlaubnis der BaZ]
05.10.2024
Hausaufgaben sind Teil einer lebendigen Schulkultur
Hausaufgaben machen pädagogisch Sinn, wenn die Lehrpersonen bei diesen ausserschulischen Aufträgen gewisse Grundregeln einhalten. Die Funktion von Hausaufgaben lässt sich einerseits negativ umschreiben, indem festgehalten wird, was unbedingt vermieden werden sollte. Andererseits gilt es hervorzuheben, welche positiven Wirkungen geeignete Hausaufgaben auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen ausüben können.
Negative Abgrenzungen zum Schutz vor falschen Vorstellungen
Hausaufgaben sind kein Ersatzprogramm für fehlendes Üben in der Schule: Hausaufgaben sind nicht dazu da, um ein fehlendes Basistraining in der Schule zu ersetzen. Die Lehrkräfte müssen den Schülerinnen und Schülern ausreichend Gelegenheit geben, damit die Grundlagen wesentlicher Kulturtechniken im Verlauf regulären Schulstunden eingeübt werden. Manches häusliche Drama könnte vermieden werden, wenn sich die Schule wieder stärker auf das Vermitteln der Grundkompetenzen konzentrieren würde. So ist das Training des Einmaleins primär eine Sache der Schule und nicht des Elternhauses.
Aufgaben müssen ohne direkte Hilfe der Eltern gelöst werden können: Hausaufgaben müssen selbständig ohne direkte Hilfe der Eltern gelöst werden können. Kein Kind sollte nach Hause gehen im Wissen, dass es nicht über die geforderten Kompetenzen zum Lösen der Aufgaben verfügt. Diese Regel verlangt ein waches Auge der Lehrperson, damit kein Kind durch die Maschen eines schulischen Sicherheitsnetzes fällt. Wo sich eine chronische Überforderung zeigt, sei es durch Leistungsschwächen oder durch schlechte Arbeitsbedingungen zuhause, sollen Kinder für den Besuch betreuter Aufgabenstunden verpflichtet werden können.
Das überladene Bildungsprogramm ist kein Grund für mehr Hausaufgaben: Hausaufgaben müssen in ihrem Umfang massvoll sein und in der Primarschule sehr dosiert eingesetzt werden. Solange die grossen Bildungsversprechungen des Lehrplans zum Nennwert genommen werden, ist die Versuchung jedoch gross, mit mehr Hausaufgaben die vielen Bildungsziele erreichen zu wollen. Um den hausgemachten Druck abzubauen, ist das Bildungsprogramm zu entschlacken. So kann man fragen, ob die bekannte Hausaufgabe, gleich in zwei Fremdsprachen regelmässig Wörtli zu lernen, nicht für viele Primarschüler längst zum Alptraum geworden ist.
Fehlende Kontrollen können nicht mit Eigenverantwortlichkeit entschuldigt werde: Hausaufgaben müssen täglich kontrolliert werden, sonst verlieren sie in den Augen der Schülerinnen und Schüler rasch an Bedeutung. Die Hausaufgaben von Unterstufenkindern sollten täglich von der Klassenlehrerin angeschaut werden. Dieser Einblick in die Arbeitsweise zuhause ermöglicht ein rechtzeitiges Eingreifen, wenn ein Kind überfordert und auf zusätzliche Betreuung angewiesen ist. Ab der Mittelstufe ist das gegenseitige Korrigieren einfacher Hausaufgaben durch Mitschüler angezeigt, sofern die Lehrperson von Zeit zu Zeit die Schülerhefte einzieht und die anspruchsvolleren Hausaufgaben selbst korrigiert. Damit eigenverantwortliches Lernen zuhause gut gelingt, benötigen selbst Teenager in der Sekundarschule die moralische Unterstützung durch eine steuernde Lehrperson.
Die positive Wirkung geeigneter Hausaufgaben ist vielfältig
Hausaufgaben als Bindeglied zwischen Schule und Elternhaus: In der Primarschule geben Hausaufgaben den Eltern einen guten Einblick, was ihr Kind in der Schule lernt und welche Arbeitstechniken dabei zum Zug kommen. Eltern können sich so orientieren, wie gut die Tochter oder der Sohn mit dem Schulstoff zurechtkommt. Die Rolle der Eltern besteht dabei primär in der Aufgabe, den Kindern eine ruhige Lernumgebung bereitzustellen. Das kann heissen, dass die Musik im Zimmer abgestellt wird und das Handy des Sohnes vorübergehend in Mutters Pultschublade verschwindet. Sicher ist nichts dagegen einzuwenden, wenn der Vater bei stockendem Aufgabenfluss der Tochter nützliche Lerntipps gibt. Solange die Unterstützung die Lernmotivation stärkt und keine Abhängigkeit entsteht, stimmt die Pädagogik.
Schrittweise Gewöhnung an eigenverantwortliches Lernen: Die Funktion der Hausaufgaben in der Unterstufe liegt nicht in deren Effizienz. Was Kinder nicht bereits in der Schule gelernt haben, werden sie in der Regel auch zuhause nicht nachholen können. Doch es ist wichtig, dass sich die Kinder daran gewöhnen, sich zuhause nochmals mit Schulthemen zu befassen. Das Lösen der Hausaufgaben bei den jüngeren Kindern ist das Einüben eines Rituals, das durchaus als Vorstufe für ein gewisses Pflichtgefühl gelten kann. Ab der Mittelstufe sollten die Kinder verstärkt Eigenverantwortung für regelmässiges Lernen und sorgfältiges Arbeiten übernehmen. Für viele motivierend ist es, wenn das kreative Gestalten eines Hefteintrags oder das Lösen zusätzlicher Knacknussaufgaben zum ausserschulischen Auftrag gehört. Spätestens ab der Oberstufe zahlt sich diese Eigeninitiative aus, da das erweiterte Stoffprogramm mehr selbständiges Arbeiten ausserhalb der Schule voraussetzt.
Hausaufgaben sollen mehr als nur eintönige Routineaufträge sein: Die Zeit der seitenlangen Stöcklirechnungen ist zum Glück längst vorbei. Die meisten Arbeitsblätter sind so aufgebaut, dass die Kinder nicht schon durch den Anblick einer erdrückenden Stoffmenge jede Freude am Arbeiten verlieren. Wenn einzelne Themen bereits in der Schule als spannend oder bereichernd erlebt wurden, kann mit passenden Themenblättern zuhause der Stoff vertieft werden. Wichtig ist, dass die Hausaufgaben jeder Stufe nicht nur Routineaufträge umfassen. So finden Aufgaben, wo es auf Bildern etwas zu entdecken gibt, kleine Rätsel zu lösen sind oder einfach etwas schön anzumalen ist, bei jüngeren Kindern viel Anklang. Ab der Mittelstufe bietet der Bereich Mensch und Umwelt eine Fülle von einfachen Aufträgen, die mit Hilfe attraktiver Lehrmittel von allen Schülern gelöst werden können. Wertvoll sind hier speziell die Nebenwirkungen, wenn beim Lesen einer Doppelseite eines illustrierten Buches das Interesse für neue Themenbereiche geweckt wird.
Der sanfte Druck der Hausaufgaben gehört zum schulischen Leistungsgedanken: Ein wesentlicher Teil der schulischen Lerntätigkeit besteht im Üben und Festigen grundlegender Aufgaben. Nicht alles, aber das meiste, sollte während der Schulstunden erledigt werden können. In gut geführten Klassen wird den Jugendlichen bald einmal bewusst, dass sie die Menge der Hausaufgaben reduzieren können, wenn sie in der Schule speditiv arbeiten. Der Faktor Fleiss im Unterricht soll eine Rolle spielen und das Leistungsprinzip stützen. Doch es ist darauf zu achten, dass schwächere Schüler neben den allgemeinen Basisaufgaben einen Teil der Hausaufgaben in Form einfacher Förderaufgaben lösen können. Bei Leistungsstärkeren wiederum kann erwartet werden, dass sie schwierigeren Stoff bei gleichem Zeitaufwand bewältigen können.
Herausfordernde Hausaufgaben für Jugendliche in der Sekundarschule: Neben den Routineaufgaben zur Festigung des Basisstoffs benötigen Jugendliche zusätzliche Herausforderungen, damit sie sich zuhause mit schulischen Themen richtig auseinandersetzen. Wenn Jugendliche wissen, dass im Wochentakt im Englisch ein kurzer Wortschatztest in Form eingeübter Sätze stattfindet, werden sie sich darauf einstellen. Die allermeisten wollen beweisen, dass sie das Dutzend auswendig gelernter Sätze beherrschen und eine gute Note verdient haben. Herausfordernde Aufgaben beschränken sich aber nicht nur auf das Sprachenlernen oder die Vorbereitung eines Vortrags. Grafiken und Zeichnungen in modernen Sachbüchern bieten anschauliche Vorlagen für attraktiv gestaltete Heftseiten. Es ist erstaunlich, wie Jugendliche sich zuhause vertieft mit Themen aus dem Realienbereich befassen, wenn damit gestalterische Aufgaben verbunden sind. Viele geben an, dass sie beim Zeichnen und Abschreiben von Kurztexten den Ablauf einer Geschichts- oder Geografiestunde nochmals innerlich miterleben. Da kann auch ein Auge zugedrückt werden, wenn sie dabei halblaut ihre Lieblingsmusik hören.
Hanspeter Amstutz
Ehemaliger Bildungsrat und Sekundarlehrer, Fehraltorf ZH
01.10.2024
Wichtigkeit eines Faches hängt von geplanter Anschlusslösung ab
Der vor wenigen Wochen publizierte Bildungsbericht 2023 des Kantons Basel-Landschaft gibt einen interessanten Hinweis auf die Wichtigkeit eines Faches im Zusammenhang mit der geplanten Anschlusslösung der Schüler*innen. So konnten sich die abgehenden Sekundarschüler*innen zum Statement «Dieses Fach war wichtig für meine weitere Ausbildung» äussern.
In der Umfrage wurde zwischen der weiteren Ausbildung in einer Berufslehre mit einem Eidgenössischen Berufsattest (EBA) beziehungsweise einem Eidgenössischen Fachzeugnis (EFZ) (Graphik 1) und der weiteren Ausbildung in der Fachmittelschule (FMS) unterschieden (Graphik 2).
Das Fach Deutsch wird von den meisten Jugendlichen sowohl für eine Lehre als auch die FMS als sehr wichtig eingestuft wird. Mehr als 80% der Befragten in einer Lehre kreuzten «trifft zu» oder «trifft eher zu» an. Bei den Lernenden der FMS liegt dieser Prozentsatz mit über 90% noch höher.
Viele Stellenprofile fordern ein stilsicheres Deutsch
Deutsch ist nicht nur im Alltag für die Kommunikation wichtig, sondern auch im Berufsleben. Viele Stellenprofile verlangen ein stilsicheres Deutsch und gutes Textverständnis. Beides sind sowohl für eine Lehre als auch die FMS zentrale Skills, wobei gute Sprache mit einem umfangreichen Wortschatz an einer FMS noch viel häufiger gebraucht wird. So lässt sich die hohe Wichtigkeit der Erstsprache erklären.
Französisch verliert zunehmend an Bedeutung
Grosse Unterschiede lassen sich im Fach Französisch feststellen: Nur knapp ein Drittel der Berufslernenden erachtet Französisch als wichtig für ihren zukünftigen Beruf. Im Gegensatz dazu erachten rund 85% der FMS-Schüler*innen gute Französischkenntnisse als vorteilhaft.
Grund der unterschiedlichen Notwendigkeit ist offensichtlich: Während ein KV-Lernender mit häufigem Kundenkontakt viel eher Französisch sprechen muss, sind beispielsweise für eine Laborantin in der Chemie- und Pharmabranche gute Französischkenntnisse weniger wichtig. Bedeutender sind die Englischfähigkeiten, da die Konzernsprache aufgrund der internationalen Belegschaft meist Englisch ist.
Ähnlich sind die Voten für das Fach Englisch: Viele erachten diese internationale Sprache wichtiger ein als Französisch, wobei auch hier die Unterschiede zwischen den Berufslernenden und den Schüler*innen der FMS erheblich sind: Der Wichtigkeit des Fachs Englisch votierten 60% der Berufslernenden mit «trifft zu» oder «trifft eher zu». Bei den FMS-Schüler*innen waren es 94% und damit ähnlich viele wie beim Fach Deutsch. Grund hierfür könnte die englische Fachsprache sein, die häufig in wissenschaftlichen Texten für den FMS-Unterricht vorkommt.
Mathematik wird durchwegs als wichtig eingestuft
Mathematik wird von mehr als 90% der Schüler*innen der FMS als wichtig oder sehr wichtig für ihre Ausbildung eingestuft. Bei den Berufslernenden sind rund drei Viertel der Befragten ebenfalls dieser Meinung. Die hohen Werte lassen sich dadurch erklären, dass Mathematik in allen möglichen Fachbereichen vorkommt und oft eine zentrale Rolle einnimmt.
Entscheidend sind die vier Kernfächer
Die vier Kernfächer Deutsch, Mathematik, Französisch und Englisch sind gemäss den Sekundarschulabgänger*innen von grosser Wichtigkeit. Für die Schüler*innen der FMS sind sie etwas zentraler, da diese weiterhin in den regulären Schulfächern unterrichtet werden und weniger Praxisbezug haben im Gegensatz zu den Berufslehren. Dennoch ist auch der praxisbezogene Unterricht im Allgemeinen stark von diesen Fächern geprägt, was ihre zentrale Daseinsberechtigung weiterhin notwendig macht.
Lena Heitz
Vorstand Starke Schule beider Basel
29.09.2024
Vernichtendes Urteil: Integrationen führen zum Leistungsabbau
Die Umfrageergebnisse einer soeben durchgeführten anonymen Befragung der Starken Schule beider Basel (SSbB), an der 786 bildungsinteressierte Personen teilnahmen, fallen für das heutige System der integrativen Beschulung vernichtend aus. Die Befunde sind eindeutig: Fast 90% der Umfrageteilnehmenden befürworten eine Korrektur der integrativen Beschulung. Rund 86% wünschen sich flächendeckende Kleinklassen. Für den Grossteil der teilnehmenden Lehrpersonen haben Integrationen ein durchschnittlich tieferes Leistungsniveau der ganzen Klasse zur Folge.
An der Umfrage nahmen 664 Lehrpersonen, zahlreiche Eltern von schulpflichtigen Kindern, mehrere Schulleiter*innen und vereinzelt auch Schüler*innen sowie Landräte und Grossräte teil. Aufgrund der hohen Anzahl Teilnehmender kann die Umfrage als aussagekräftig taxiert werden.
Von den teilnehmenden Lehrpersonen unterrichten 51.7% auf der Primarstufe, 31.7% an den Sekundarschulen und 14.1% auf der Sekundarstufe II.
Heftige Kritik an der integrativen Beschulung
Der Leitgedanke Integration vor Separation ist gut gemeint. Die Umsetzung der Integration kommt jedoch bei den Umfrageteilnehmenden nicht gut an. Auf die Frage «Soll die integrative Beschulung, so wie sie heute durchgeführt wird, überdacht und korrigiert werden?», votierten 89.8% mit Ja oder eher Ja und 7.7% mit Nein oder eher Nein. 2.6% konnten oder wollten sich nicht festlegen. (siehe folgende Grafik)
In einem offenen Feld für Kommentare begründeten 328 Umfrageteilnehmende ihre Positionen bezüglich der integrativen Beschulung. Im Folgenden werden einige Kommentare abgedruckt, teilweise in gekürzter Form:
- Ich habe den Eindruck, dass sich integrierte SuS oft nicht wohl fühlen, weil sie beim Unterricht der Regelklasse nicht mithalten können. Ich denke, sie würden sich in einer Sonderklasse wohler fühlen.
- Die Leistungen werden immer schlechter, der Anteil an zu integrierenden SchülerInnen ist zu hoch, so dass man zu wenig schnell und tief in die Themen eindringen kann. Es kann sehr oft nur an den Basics gearbeitet werden, weil bei vielen selbst diese nicht sitzen.
- In einer Regelklasse mit 23 Kindern, 2 gehörlosen Kindern, 3 Kinder, die noch nicht schulreif sind, 2 traumatisierte Kinder und ein Kind mit frühkindlichem Autismus zu unterrichten, ist ein Ding der Unmöglichkeit. So wird man keinem gerecht, weder den Kindern mit Beeinträchtigungen noch den tatsächlichen Regelkindern noch den Lehrpersonen. Ausserdem bin ich für Regelkinder ausgebildet, nicht für all die Kinder, die eine spezielle Betreuung benötigen. Am besten integrierbar sind meines Erachtens Kinder mit körperlichen Einschränkungen.
- Ich wünsche mir dringend wieder Spezialklassen mit ausgebildeten Personen, die sich professionell um die Kinder mit ausserordentlichen Bedürfnissen kümmern können: Kleinklassen mit Heilpädagogen, Gehörlosenklassen, Klassen für Kinder mit Autismus... Nur so können alle Kinder nach ihren Möglichkeiten gefördert werden und die Lehrpersonen, die engagiert ihr Bestes geben, brennen weniger aus.
- Dieses System geht nicht auf, der Input korreliert nicht mit dem Output.
- Neben den Bedürfnissen der leistungsschwachen und vor allem der stark störenden bzw. aufmerksamkeitsheischenden SuS müssen auch die Bedürfnisse der leistungswilligen SuS berücksichtigt werden. Es darf nicht sein, dass eine ganze Generation von SuS eine schwache Ausbildung erhält, nur weil ein Teil der SuS übermässig Aufmerksamkeit und Energie beansprucht.
- Problematisch ist nicht die Integration von Kindern mit individuellen Lernzielen, welche den Unterricht nicht stören, sondern die Integration von Kindern, welche aufgrund des Verhaltens auffällig sind. Im Moment gibt es im BL nur das Timeout, welches aufwändig und für die Primarschulen weniger geeignet ist.
- Schüler und Schülerinnen, die den Unterricht massiv stören, müssen aktuell das komplette Schuljahr in der Klasse verbleiben bis der Antrag auf verstärkte Massnahmen für das folgende Schuljahr bearbeitet wird. Darunter leidet die komplette Klasse. Es gibt für Extremfälle keine Handhabe seitens des Erziehungsdepartements. Es sollte auch innerhalb des Schuljahres in einer Akutsituation ein Wechsel in eine passende Klasse (Kleinklasse etc.) möglich sein. Es ist absolut nicht nachvollziehbar, dass die Schule intern nach Lösungen suchen muss und beispielsweise durch Zivis diese Schüler betreut werden, da kurzfristig keine qualifizierten Assistentinnen eingestellt werden können. Eine engere und schnelle Zusammenarbeit des ED mit der KESB und dem KJD wäre bei diesen besonders herausfordernden Schülern sinnvoll.
- Mehr Ressourcen oder die Abschaffung der integrativen Beschulung
- Es gibt immer wieder Kinder, die aufgrund ihrer extremen Auffälligkeiten und Bedürfnisse nicht integrierbar sind. Sie können und vor allem wollen sie nicht in normalen Schulen integriert und beschult werden. Für diese Kinder sollte es dringend wieder Kleinklassen geben.
- Leistungshomogene Klassen würden zu einem besseren Bildungserfolg der einzelnen Schülerinnen und Schüler beitragen. Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf sollten in Kleinklassen unterrichtet werden, dies würde eine Entlastung der Lehrpersonen darstellen, den einzelnen Schülerinnen und Schülern mit Förderbedarf zugutekommen und die Klassensituationen beruhigen.
- Bezüglich Leistung kann ich nur raten. Bezüglich Wohlbefinden sensitiver Kinder ist es eine Katastrophe. Bezüglich der integrierten Kinder genauso. Bezüglich der guten Lehrpersonen, die dabei verheizt werden auch. Es braucht wieder Kleinklassen und die Möglichkeit privater Beschulung für spezielle Kinder, wenn weder die Regelklasse noch die Kleinklasse passt. Was LP heutzutage an Kraft und Ressourcen verbrauchen endet im Burnout. Ich bin Therapeutin und habe alle diese Themen in meiner Praxis. Heutzutage braucht fast jedes Kind Therapien um im Schulsystem bestehen zu können, auch die, welche dauernd 6er schreiben.
Stark störende Schüler*innen führen zu einem erheblich tieferen Leistungsniveau der ganzen Klasse
Seit längerer Zeit streiten sich Fachleute und Politik darüber, ob die Integration von verhaltensauffälligen Kindern, welche den Unterricht häufig und stark stören, zu einem spürbaren Abbau der Leistungen aller Schüler*innen einer Klasse führt. Auf einer Skala von 0 (Nein, überhaupt nicht) bis zu 10 (Ja, auf jeden Fall) konnten die Umfrageteilnehmenden einschätzen, ob und wie stark sich solche Integrationen auf das Leistungsniveau auswirken. Das Resultat stimmt nachdenklich:
72.7% der Umfrageteilnehmenden setzen Werte zwischen 7 und 10. Sie drücken damit aus, dass solche Integrationen zu einem starken Leistungsabfall der gesamten Klasse führen. Lediglich für 11.1% (Wert zwischen 0 und 3) haben solche Integrationen keinen oder nur einen sehr geringen Einfluss auf das allgemeine Leistungsniveau. (siehe folgende Grafik).
Auch Lernende mit einem hohen Betreuungsbedarf führen zu einem tieferen Leistungsniveau der ganzen Klasse
Muss eine Lehrperson viel Zeit in Schüler*innen investieren, die einen hohen Betreuungsbedarf haben, so bleibt weniger Zeit für den Rest der Klasse. Die Umfrageteilnehmenden konnten bei einer der Fragen beurteilen, wie stark die Integration von Schüler*innen, die den Unterricht zwar nicht stören, jedoch einen sehr hohen Betreuungsbedarf haben, einen Einfluss auf ein durchschnittlich tieferes Leistungsniveau der Klasse hat.
Wiederum konnte diese Frage auf einer Skala von 0 (Nein, überhaupt nicht) bis zu 10 (Ja, auf jeden Fall) eingeschätzt werden. Die Umfrageteilnehmenden beurteilen den Einfluss von solchen Schüler*innen auf das Leistungsniveau geringer ein als durch Schüler*innen, die den Unterricht häufig und stark stören: 33.4% stuft dein Einfluss mit einem Wert zwischen 7 und 10 als hoch oder sehr hoch ein. 35.4% beurteilt den Einfluss als inexistent oder gering ein, 31.2% mit einem Wert zwischen 4 und 6 als mittelmässig.
Deutliche Mehrheit für flächendeckende Einführung von Kleinklassen an allen Sekundarschulen
Während der Kanton Basel-Stadt vor einigen Jahren Kleinklassen vollständig abgeschafft und fast alle Schüler*innen in Regelklassen integriert hat, hat der Landkanton weiterhin auf Kleinklassen gesetzt, wenn auch in einem etwas geringeren Umfang. Insbesondere im Stadtkanton ist die Forderung nach Kleinklassen zunehmend grösser geworden. Das Erziehungsdepartement reagierte nun auf den zunehmenden Druck, insbesondere auch aufgrund einer eingereichten Volksinitiative für die Wiedereinführung von Kleinklassen, die im Stadtkanton neu als sogenannte Förderklassen bezeichnet werden. Offen bleibt, wie viele Förderklassen gebildet werden.
Die Umfrageteilnehmenden konnten sich dazu äussern, ob Kleinklassen resp. Förderklassen in den beiden Basler Halbkantonen flächendeckend eingeführt werden sollen. Das Resultat überrascht in seiner Klarheit: 85.9% votierten mit Ja oder eher Ja. Lediglich 8.1% wollen auf eine flächendeckende Einführung verzichten. 6.0% enthielten sich.
Gezielte individuelle Betreuung als Hauptargument für Kleinklassen
In einem offenen Feld konnten sich die Umfrageteilnehmenden genauer zu den Vorteilen von Kleinklassen äussern. 438 Personen haben eine Antwort gegeben. Das am meisten genannte Argument war die Möglichkeit, die Kinder individueller zu betreuen. Im Folgenden werden wieder einige Kommentare abgedruckt, teilweise in gekürzter Form:
- Kinder mit besonderen Bedürfnissen können eng begleitet, geführt und unterstützt werden. In der Sekundarschule hat sich in den vergangenen Jahren gezeigt, dass betroffene Kinder den Anschluss verlieren.
- Der Unterricht in Regelklassen kann vermutlich ruhiger und homogener stattfinden.
- Mehr Ressourcen der LP für die SuS. Konzentration auf Wesentliches.
- Stärkere Betreuung, bessere Unterstützung, angepasste und individuelle Bedürfnisse, vielleicht auch besser & speziell ausgebildete Lehrpersonen.
- Weniger Druck, weniger Scham, weniger Überforderung
- Der Vorteil einer Kleinklasse ist meiner Meinung nach, dass die Bedürfnisse der einzelnen SuS eher berücksichtigt und entsprechend Unterstützung im laufenden Unterricht stattfinden kann, ohne dass die grosse Masse in der Grossklasse aufgehalten wird. Ich gehe davon aus, dass das Niveau ähnlich hoch oder niedrig ist und sich die Lehrperson intensiver mit allen beschäftigen kann, weil sie sich nicht darum kümmern muss, allen Lernständen der Klasse gerecht zu werden.
- Ruhigere Atmosphäre gibt Raum zum Denken, weniger Druck auf den langsamer arbeitenden Schülern, individuellere Betreuung und Begleitung möglich, da es kleinere Gruppen sind. Dies alles trägt zu einer entspannteren Atmosphäre bei.
- Verhinderung der Selbstwahrnehmung [der Schüler*innen] als dauernd überforderter, inkompetenter und hilfsbedürftiger Mensch
- Pseudo-Integration von Kindern, denen in der Regelklasse die Handicaps nur noch stärker vor Augen geführt werden, die den Unterricht in hohem Masse stören und den Arbeitsaufwand für die Lehrpersonen massiv erhöhen, sind kein Gewinn für die Schule.
- Das gemeinsame soziale Setting für die SuS mit besonderen Bedürfnissen und die Möglichkeit einer LP, eine Gruppe wirklich zusammenzuführen. Statt Aussenseiter und Problemkind zu sein, finden schwache oder auffällige Kinder schneller ein Zuhause, was eine Voraussetzung für ihre Entwicklung ist. Die Möglichkeit, wieder in eine Regelklasse zu wechseln, besteht ja immer, sobald die Kinder an innerer und schulischer Sicherheit gewonnen haben.
Stigmatisierung sei der grösste Nachteil von Kleinklassen
Da der grosse Teil der Befragten für die Einführung von Kleinklassen ist, gab es auch entsprechend weniger Antworten beim offenen Feld für Nachteile von Kleinklassen. Von den 271 Antworten zu Nachteilen war das am häufigsten genannte Argument die Stigmatisierung. Im Folgenden werden erneut einige Kommentare abgedruckt, teilweise in gekürzter Form:
- Die soziale Durchmischung ist weniger gewährleistet. Deswegen bin ich dafür, alle Klassen viel kleiner zu machen, damit man die Vorteile der Kleinklasse und die der Regelklasse hat.
- Abschottung
- Sozialer Brennpunkt
- Eine Konzentration stark auffallender Kinder, welche sich dadurch verstärken kann.
- Mag gesellschaftspolitisch so aussehen, als seien dies die jungen Verlierer in der Gesellschaft, ohne Chance auf Aufstieg.
- Gefühl des Ausschliessen & Ausgeschlossen seins / Verfremdung von Schüler und Schülerinnen, Stigmatisierung.
- Eltern wollen das häufig nicht.
- Die Kinder können nicht von positiven Vorbildern profitieren. Möglicherweise werden die Kinder zu weniger gefordert.
- Ein Nachteil wäre, wenn die betroffenen SuS keine Gelegenheit haben, zumindest in einzelnen Fächern oder auch wieder ganz in eine Regelschule einzusteigen. Auch hier kommt es also wieder auf das WIE der Umsetzung an. Ein neues Vorgehen müsste sehr durchdacht und immer wieder überprüft und ggf. angepasst werden.
- Eventuell fühlen sich diese Schüler im Vergleich mit Regelklassenschüler als "anders" behandelt und könnten Minderwertigkeitsgefühle haben/entwickeln. Die Auswahl für spätere/anschliessende Bildungswege verringert sich, somit auch die Chancen gewisse Berufswege einschlagen zu können.
- Kleinklassen werden oft als Auffangbecken gesehen, welche alle SuS, welche nicht spuren, auffangen. Sozialauffällige Kinder gehören aber nicht in eine Klasse für Kinder, welche leistungsschwach sind.
- Kleinklassen haben einen "Stempel" in unserer Gesellschaft. Menschen denken oft, dass es bedeutet, dass das Kind schlecht oder behindert ist. Diesen Ruf müsste man ändern, damit Eltern ihre Kinder gerne in eine Kleinklasse geben, sofern ihr Kind den Bedarf dazu hat.
Lehrpersonen wünschen sich am meisten Schüler*innen mit einem hohen Betreuungsbedarf in einer Kleinklasse
Dass Kleinklassen flächendeckend geführt werden sollen, wird klar befürwortet. Interessant in Bezug auf die Umfrageergebnisse ist aber auch, welche Schüler*innen in eine Kleinklasse eingeteilt werden sollen. (siehe folgende Grafik)
Umfassender Handlungsbedarf ist angezeigt
Gemäss den letzten Pisa-Studien ist die Leistung der Schüler*innen in den Fächern Deutsch und Mathematik seit rund 20 Jahren gesamtschweizerisch stetig gesunken. Unter Fachkreisen ist unbestritten: Die Ursachen sind vielschichtig und nicht einfach zu eruieren. Die exzessive Digitalisierung, gesellschaftliche Veränderungen und die zahlreichen, wenig durchdachten Bildungsreformen der letzten Jahre mögen ebenso eine Rolle spielen wie die praxisferne Ausbildung der Lehrpersonen mit wenig hilfreichen Lerninhalten an den Pädagogischen Hochschulen. Auch die konsequente Integration von verhaltensauffälligen Schüler*innen und solchen mit einem besonderen Betreuungsbedarf haben offensichtlich zum insgesamt schwächeren Leistungsniveau beigetragen.
Soll ein weiterer Leistungsabfall verhindert werden, ist Handlungsbedarf angezeigt. Grundsätzliche Änderungen sind notwendig: Die Ausbildung der Lehrpersonen muss sich insbesondere im fachlichen Bereich markant verbessern. Regelmässige Hausaufgaben und Prüfungen, die benotet werden, gehören ebenso zum Erreichen der Lernziele wie das Einfordern von Anstandsregeln und die Förderung sozialen Verhaltens der Schüler*innen gegenüber allen Schulbeteiligten. Hier sind auch die Eltern gefordert, ihre Erziehungspflichten wahrzunehmen und einen Beitrag zur schulischen Entwicklung ihrer Kinder zu leisten. Die Umfrage zeigt unmissverständlich: Lernwirksamer Unterricht für alle ist nur mit Hilfe von Kleinklassen möglich. Unruhe im Klassenzimmer führt zu Leistungsabbau, was sich gerade in naturwissenschaftlichen und sprachlichen Fächern sehr deutlich manifestiert. Zudem müssen die leistungsschwächeren Kinder und Jugendlichen individueller unterstützt und betreut werden, damit sie ihre Leistungen verbessern können. Eine optimale Lernumgebung, in welcher sich alle Schüler*innen wohlfühlen und konzentriert arbeiten können, ist entscheidend.
Lena Heitz
Vorstand Starke Schule beider Basel
28.09.2024 - Sonntagszeitung
«Eltern sind froh, wenn wir ihrem Kind das Handy wegnehmen»
Oberstufenlehrer Jürg Wiedemann hat genug: Bürokratie und Digitalisierung führten bei ihm zum Schulverleider. Er erzählt, warum er sich früh pensionieren liess – und wo er den gesunden Menschenverstand vermisst.
«Ich war über 30 Jahre lang Lehrer. Und das mit Herzblut. Inzwischen hat sich der Beruf stark verändert. Diese Bürokratie! Um möglichst gute Schulstunden vorzubereiten, bleibt immer weniger Zeit. Ich habe auf der Oberstufe in Allschwil in Baselland Mathematik und Physik unterrichtet. Wenn ich den Jugendlichen den Satz des Pythagoras oder den Dreisatz erklären konnte und merkte, dass sie am Ende der Stunde gescheiter aus dem Schulzimmer liefen, als sie reingekommen sind, dann war das ein tolles Gefühl. Dafür bin ich Lehrer geworden.
Ich habe entschieden, mich auf dieses Schuljahr früh pensionieren zu lassen. Der Grund? Über die Jahre blieb immer weniger Zeit für das Kerngeschäft des Unterrichtens. Sitzungen gab es früher nur wenige. Eine Zeugniskonferenz-Sitzung, vielleicht noch eine Sitzung im Gesamtkonvent mit allen Lehrpersonen. Dann wurden es immer mehr. Irgendwann bin ich dazu übergegangen, meine Arzttermine auf den Mittwochnachmittag zu legen, wenn dort wieder eine Konferenz geplant war – ich sagte mir: lieber dort schwänzen, als eine Schulstunde ausfallen zu lassen.
Ich glaube, die Schulführung hatte für meine Haltung Verständnis. Jedenfalls sprach mich mal einer der Schulleiter an: ‹Jürg, die Konferenz am Mittwochnachmittag ist verschoben› – mit dem Wink, meinen Arzttermin vielleicht ebenfalls zu verschieben.
«Der administrative Aufwand ist enorm»
Bürokratisierung der Schule heisst auch, dass man sehr viel mehr absprechen und protokollieren muss. Beispiel Absenzen: Bei einem Vollpensum und vier, fünf Klassen sind das gegen 100 Schüler. Für alle muss man jede Unterrichtslektion in einem Tool namens Schuladministrativlösung eintragen, wenn einer gefehlt hat oder zu spät gekommen ist. Auch wenn es nur zwei Minuten Verspätung waren, muss man das in einem Feld mit ‹2› eintragen. Der administrative Aufwand ist enorm. Das hat mir ehrlich gesagt unsäglich gestunken.
Oder nehmen wir die Standortgespräche. Eine Klassenlehrperson muss mit allen Eltern und ihrem Kind in jedem Schuljahr ein Gespräch führen. Egal, ob es dafür Bedarf gibt oder nicht. Man bereitet sich darauf vor, sitzt dann eine halbe Stunde zusammen, anschliessend schreibt man ein Protokoll. Wenn ein Kind Schwierigkeiten hat, kann ein Gespräch durchaus wertvoll sein. Aber warum soll man ein Standortgespräch führen, wenn das Kind sagt: ‹Herr Wiedemann, meinen Eltern stinkt es, heute Abend zum Gespräch zu kommen, mein Vater muss länger arbeiten und morgen früher aufstehen. Ich weiss, Ihnen stinkt es auch. Und ich habe heute Abend Fussballtraining beim FC Allschwil.» Das fand ich erfrischend!
Der Schüler erkundigte sich dann noch, ob sie wirklich kommen müssten. Ich sagte ihm: Rechtlich sei das Gespräch verbindlich, aber sie könnten sich ja auch einfach weigern. Wir haben dann kein Standortgespräch gemacht. Und alle waren zufrieden.
Der entscheidende Punkt für mich war: Das war ein sehr guter Schüler, nur Fünfer und Sechser im Zeugnis, auch sozial hatte er keine Probleme – es ist grotesk, in solchen Fällen Standortgespräche durchzuführen, nur weil die Obrigkeit das so vorsieht. Man darf ja durchaus auch mal den gesunden Menschenverstand walten lassen.
«Ich sagte, mein Computer sei kaputt»
Der Lehrerberuf hat sich auch durch die Digitalisierung stark verändert. Gut, man kann mir jetzt vorwerfen, ich sei eben ein konservativer, alter Mann – aber ich denke, Mathe lässt sich auch mit Wandtafel und auf Papier unterrichten. Es ist eine Frage des Masses, wie digitale Geräte wie iPads eingesetzt werden. Man muss einfach sehen: Die Bildschirmzeit der Jugendlichen beträgt oft acht Stunden und mehr pro Tag, weil sie ja zu Hause so viel surfen, chatten, auf Tiktok und Instagram sind. Ich hatte letztes Jahr angefangen zu sagen, mein Computer sei kaputt, habe die Aufgaben auf Papier geschrieben und verteilt. Die Jugendlichen schauten mich schräg an – sie dachten wohl: Was ist denn jetzt hier los?
Die Bildschirmzeit beschäftigt auch die Eltern stark. An meiner Schule gibt es zum Beispiel strikte Handyregeln: Die Smartphones dürfen weder hör- noch sichtbar sein. Und das nicht nur im Unterricht, sondern auf dem ganzen Schulareal, also auch in der Pause. Sonst werden sie eingezogen und die Schülerinnen und Schüler können es vor dem Nachhause gehen wieder abholen.
Vor einiger Zeit hatten wir es noch anders geregelt: Ein Handy, das wir wegnehmen mussten, wurde im Sekretariat abgegeben und die Eltern mussten es bei der Schulleitung abholen. Was ist passiert? Tagelang, zum Teil auch zwei, drei Wochen lang gar nichts – manche Eltern sagten uns: "Sind wir froh, dass Sie unserem Kind das Handy weggenommen haben! Es ist ganz gut, dass es mal eine Weile ohne Smartphone auskommen muss!"
Nadja Pastega, Journalistin der SZ
[Quelle: SonntagsZeitung vom 15. September 2024, abgedruckt mit Erlaubnis der SZ, Foto: Stefan Borhrer]
24.09.2024
Dänemark und Schweden fahren mit der Digitalisierung zurück
Die nordischen Länder, welche einst als Vorreiter in Bezug auf die Digitalisierung galten und dafür von aller Welt grosse Achtung erhalten haben, horchen nun auf und schrauben den digitalisierten Schulalltag deutlich zurück. Diese Änderungen machen sich nun auch in der Schweiz bemerkbar.
Es macht sich immer wie mehr Kritik darüber breit, wie viel Zeit bereits Kinder und Jugendliche vor dem Bildschirm verbringen. Die Auswirkungen der Digitalisierung zeigt sich vor allem in der schwindenden Sozialkompetenz der Kinder und Jugendlichen. In den Pausen steht nicht mehr die Interaktion mit den anderen Mitschüler*innen im Vordergrund, sondern vielmehr das Surfen und Chatten im Netz. Diese und weitere Folgen der Digitalisierung sind für viele Bildungsdirektor*innen besorgniserregend und sie wollen dem entgegenwirken.
Gegenmassnahmen zur Digitalisierung
Die Massnahmen, die der Digitalisierung entgegenwirken sollen, bestehen grösstenteils darin, Handys auf den Schularealen zu verbieten und vermehrt wieder gedruckte Bücher in die Schulen zurückzubringen. In den nordischen Ländern wie Schweden und Dänemark, welche bei der Digitalisierung schnell vorangeschritten sind, finden sich zurzeit fast keine Bibliotheken und handgeschrieben Aufgaben in den Klassenzimmern wieder. Dies wird nun geändert. Das Ziel ist es, der extensiven Digitalisierung entgegenzuwirken.
Entsprechende Wirkung in den Schweizer Kantonen
Es zeigt sich ein weltweiter Trend. Auch in der Schweiz gibt es vermehrt Stimmen, die sich besorgt über die starke Digitalisierung äussern. Auch hier zu Lande sind erste Schritte eingeleitet worden, wie ein Verbot von Handys auf dem gesamten Schulareal. Vielerorts drängt sich die Frage auf, zu welchem Grad die digitalen Geräte zum positiven Lernprozess beitragen und ob sich hinter der Digitalisierung nicht doch grössere Schattenseiten verbergen. Auch wenn in der Schweiz bereits gewisse Schritte eingeleitet worden sind, betonen Bildungsdirektor*innen mehrerer Kantone trotzdem, dass die Digitalisierung hier zu Lande lange noch nicht so stark fortgeschritten ist, wie in den skandinavischen Ländern. Das Ziel der Kantone ist es dennoch, den Gebrauch von elektronischem Zubehör je nach Klassenstufe zu reduzieren.
Anahi Sidler
Sekretariat Starke Schule beider Basel
23.09.2024
Schule 1991 versus Schule 2024
1991 war das Jahr, in dem ich in meinen Beruf als Sekundarlehrer definitiv eingestiegen bin – im Vollpensum als verantwortlicher Klassenlehrer und in sieben Fächern gleichzeitig. Dies nach einem soeben abgeschlossenen Berufsmusikerstudium (Querflöte). Zuvor war ich in Stellvertretungen tätig gewesen, nachdem ich drei Jahre bei der mobilen und stationären Spielanimation in Basel gewirkt hatte (Robi-Spielplätze). Im Folgenden stelle ich den Anfang meiner Lehrer-Laufbahn dem Schluss meiner Unterrichtszeit gegenüber. Etwas sei bereits verraten: Nicht alles ist schlechter geworden, aber Vieles.
Eine etwas andere Ausgangslage
Zu Beginn meiner Arbeit wurde ich in den technischen Support meiner Unterrichtstätigkeit eingeführt, den ich natürlich von meinen Stellvertretungen her bereits kannte: Matrizendruck, Hellraumprojektor, 16mm-Filmprojektor, Kassettenabspielgerät und handschriftlich geführte Zeugnisnotenlisten. Dazu fürs Fach Geografie (damals noch mit ph geschrieben) grosse Stempel für das Bereitstellen von Kartenumrissen. Standard waren handgeschriebene Hefteinträge, vermittelt wurde ab Wandtafel und die Prüfungen und Elterninformationen verfasste ich ebenfalls handschriftlich.
Wertvolle Zeit
Was mir im Rückblick auffällt: Trotz hoher Arbeitsbelastung, vor allem mit sieben Fächern (M / PH / B / CH / GG / MU und BG), blieb der Alltag wesentlich ruhiger als später. Stillarbeitsphasen verliefen im Wesentlichen still. Selbstverständlich unterrichtete ich nicht nur Engel, doch es waren Dinge möglich, die heute nicht einmal mehr erträumt werden. Ich erinnere mich an ein Klassenlager im Engadin, wo die Schülerinnen und Schüler Programmpunkte wählen konnten. Sechs von Ihnen entschieden sich für eine Bergtour mit Übernachtung. Ich spreche von der Ersteigung des Piz Morteratsch (3750m) mit Steigeisen, Pickel und Seil. Natürlich geführt durch einen Bergführer, aufgeteilt in drei Seilschaften, von denen ich eine als damals aktiver Alpinist führen durfte. Ich schätze, dass ein solches Unterfangen heutzutage zumindest einen aufwändigen Papierkrieg auslösen würde, falls es überhaupt noch durchführbar wäre.
Die weitere Entwicklung
Eine Trendwende im Schul-Dasein begann mit der Einführung der EDV und Grossprojekten wie etwa HarmoS. Zu Beginn beschränkte sich der Einsatz von Computern auf die Schulverwaltung (Schulleitung und Sekretariat) und auf ein Gerät im Lehrpersonen-Arbeitsraum. Doch das sollte sich nach und nach ändern. Zuhause installierte ich auch einen PC, dessen Funktionen sich aber auf das Verfassen von Texten und deren Speicherungen beschränkte. Bildliche Illustrationen auf Arbeitsblättern waren entweder handgezeichnet oder als Kopie ab Büchern eingeklebt.
Interessanterweise stieg aber die Arbeitsbelastung mit jeder angeblichen, technisch unterstützenden «Entlastung». Im Laufe der Zeit hatte ich immer mehr das Gefühl, kaum mehr Zeit zu haben angesichts aller neu hinzutretenden Aufgaben.
Was mir missfiel, waren die beinahe sektiererisch verkündeten Heilsbotschaften. Ich erinnere mich noch an eine Weiterbildungsveranstaltung zum neuen Mathebuch. Der Referent parlierte grossmäulig, dass im Mathematikunterricht kein Stein mehr auf dem anderen bleiben sollte. Was im Endeffekt aber geschah, war, dass die neue Mathebibel einfach tonnenweise Aufgaben zur Verfügung stellte ohne jegliche Theorie und handliche Lösungsvorlagen für die Lernenden. Daher entschloss ich mich, in meinem Mathe-Lehrgang das Mathematikbuch in Form von Hefteinträgen mit den Schülerinnen und Schülern jeweils selbst zu schreiben und am Schluss die gesammelten Theoriehefte binden zu lassen. Eine Schülerin, deren Hefte ich am Ende der neunten Klasse über die Sommerferien ausgeliehen hatte, um sie zu kopieren, beschwor mich, ihr die Hefte schleunigst zurückzugeben, da sie sie für den Einstieg in ihre technische Lehre brauche.
Die pädagogischen Heilsversprechen mehrten sich, ihr verkündeter Erfolg blieb schlicht und einfach aus. Erinnert sei z. B. an das Projekt Passepartout.
Was gegen den Schluss meiner Zeit als Sekundarlehrer das Fass quasi zum Überlaufen brachte, war die omnipräsente administrative Gängelung der Jugendlichen, sei es mittels Eintragungen im schulischen Administrationstool SAL, Elterngesprächen, Schulsozialarbeit etc. Verspätungen ab 2 Minuten mussten protokolliert werden, sämtliche meiner etwa 120 Schülerinnen und Schüler wurden halbjährlich mittels Prädikate vermessen – ein unpädagogischer Graus sondergleichen.
Ich spreche von einem Vermessungswahn, der auch durch die Digitalisierung des Schulalltages Urstände zu feiern begann, was wiederum Sitzungen und Besprechungen nach sich zog. Doch der Unterricht wurde meines Erachtens nicht besser – im Gegenteil.
Smartphones und Tablets
Ein Quantensprung in Sachen autonomer Recherchen im Unterricht fand statt durch den Einzug von Computern, Handys und Laptops bzw. später Tablets. Was zuerst in einem Computerraum begann mit Feststationen, die z. T. vom Lehrpersonen-Pult überwacht werden konnten, entwickelte sich hin zur eigentlich unkontrollierbaren und pausenlosen Verfügbarkeit von Informationen aus dem Netz. Regeln mussten her. Smartphone und Applewatch hiessen die neuen Spickzettel – mit ChatGPT umso mehr. Inzwischen verbieten etliche Schulen den Gebrauch des Handys während der Unterrichtszeit und den Pausen ganz - unter Androhung von Sanktionen bei Zuwiderhandlung. Das heisst aber nicht, dass Schülerinnen und Schüler ihre personalisierten elektronischen Devices wie z. B. Tablets nicht auch dazu benutzen können, Gspänli via soziale Netzwerke zu mobben. Schulen haben heutzutage mit Problemen zu kämpfen, die 1991 nicht im Ansatz vorstellbar waren ausser in Science-Fiction Filmen.
Dieser Rüstungswettlauf im Klassenzimmer fordert Tribute, vor allem mit dem bis heute obrigkeitlich verordneten inklusiven Unterricht, bei dem eine individuelle Betreuung gefordert wäre, aber nicht im Ansatz leistbar ist bei einer Klassengrösse von bis zu 25 Schülerinnen und Schülern.
Quo Vadis?
Die dänische Psychologin Aida Bikic hat die Schweiz anlässlich ihres aktuellen Besuches in ihrem ehemaligen Internat im Bündnerland eindringlich davor gewarnt, nicht dieselben Fehler zu wiederholen, die Dänemark in der Hysterie um die Digitalisierung der Schule gemacht hat. Bildschirmzeiten von acht Stunden oder mehr, Schreiben nur noch mittels Tastatur, was die Handschrift verkümmern lässt und eine grössere Präsenz im virtuellen Raum als in der erlebbaren Wirklichkeit - das tut der körperlichen und seelisch-geistigen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen nichts Gutes. Davor hat auch schon der deutsche Neurowissenschaftler Prof. Dr. Manfred Spitzer vor Jahren bereits gewarnt.
Lehrerinnen und Lehrer müssen sich eine Autonomie für ihr Tun und Lassen zurückholen, die 1991 noch etwas umfassender war als heute. Doch das braucht den Mut, dem heutzutage geforderten Kadavergehorsam kollektiv eine Absage zu erteilen. Ob der pädagogische Nachwuchs aus den Mühlen der pädagogischen Hochschulen Solches künftig zustande bringen wird – ich setze da ein grosses Fragezeichen.
Daniel Vuilliomenet
ehemaliger Sekundarlehrer
19.09.2024
Vorstoss fordert grundsätzliche Änderung der Lehrerausbildung
Die massive Kritik an der Pädagogischen Hochschule (PH FHNW) hat Folgen: Landrätin Anita Biedert reicht am kommenden Donnerstag einen brisanten Vorstoss ein, der ein grundsätzliches Umdenken bei der Ausbildung an der PH fordert. Die Sekundarlehrpersonenausbildung soll neu differenziert erfolgen, abhängig davon, ob die angehende Lehrperson hauptsächlich Kleinklassen und das Leistungsniveau A oder ob sie die beiden anspruchsvolleren Leistungsniveaus E (erweitertes Niveau) und P (progymnasiales Niveau) unterrichten möchte.
Heute unterrichten Sekundarlehrer/-innen in vielen Fällen alle Leistungsprofile. Die Pädagoginnen und Pädagogen sind sich jedoch weitgehend einig: Lehrpersonen, welche Kleinklassen und Leistungsniveau A unterrichten, benötigen für einen erfolgreichen Unterricht andere Fähigkeiten und Kompetenzen als Lehrpersonen, welche die beiden inhaltlich anspruchsvolleren Niveaus E und P unterrichten.
Universalität reicht nicht für einen qualifizierten Unterricht
Die PH bildet heute Lehrperson aus, die vieles ein bisschen, aber nichts fundiert beherrschen, was für die Schwächen im Bildungswesen der letzten Jahre mitverantwortlich ist. Um im anspruchsvolleren progymnasialen P-Niveau unterrichten zu können, reicht oberflächliches Fachwissen ebenso wenig aus, wie mangelndes sozialpädagogisches und psychologisches Wissen für das Führen einer Kleinklasse oder einer Regelklasse des Leistungsniveaus A nicht genügen.
Der Text des Vorstosses im Wortlaut
«Seit vielen Jahren erhält die Pädagogische Hochschule (PH) der FHNW in Umfragen durchweg schlechte Bewertungen. Ein wesentlicher Kritikpunkt sind die wenig relevanten und praxisnahen Lerninhalte, die nicht ausreichend auf den Lehrerberuf vorbereiten.
Erst kürzlich wurde diese Kritik durch eine Umfrage unter einer Gruppe von Studierenden erneut deutlich bestätigt. Nur 14,7 % der 823 an der Umfrage teilnehmenden Studierenden bewerteten die vermittelten Lerninhalte als relevant und praxisorientiert. Aber auch nur 14,8 % waren der Meinung, dass die PH die Studierenden gut auf den Lehrerberuf vorbereitet. (Siehe folgende Grafiken.)
Die Umfrageergebnisse wurden von der Starken Schule beider Basel (SSbB) im August veröffentlicht. (Quelle: http://starke-schule-beider-basel.ch/archiv/Archiv_Artikel/StudierendeerteilenderPHFHNWeineknallendeOh.aspx)
Lehrpersonen, die an einer Sekundarschule Kleinklassen und das Leistungsniveau A unterrichten, benötigen für einen optimalen und zielführenden Unterricht andere Fähigkeiten und Kompetenzen als jene Lehrpersonen, die die Niveaus E und P unterrichten.
Aktuell erhalten jedoch alle Lehrpersonen der Sekundarstufe I die gleiche Ausbildung, unabhängig davon, welches Leistungsniveau sie später hauptsächlich unterrichten. Diese einheitliche Ausbildung für Sekundarlehrpersonen hat erhebliche qualitative Nachteile. Eine spezialisierte Ausbildung ist daher dringend erforderlich.
In einem offenen Brief fordern 105 Studierende die Parlamentarierinnen und Parlamentarier der beiden Basler Halbkantone auf, der «PH FHNW» endlich mehr Beachtung zu schenken. Der Wunsch nach einer qualitativ besseren Ausbildung ist unter den Studierenden groß.
Der Regierungsrat wird gebeten, das Gespräch mit den anderen drei Trägerkantonen der PH FHNW zu suchen und darauf hinzuarbeiten, dass die Ausbildung der Sekundarlehrpersonen differenziert erfolgt. Dies sollte abhängig davon geschehen, ob die Lehrpersonen künftig das Leistungsniveau A und Kleinklassen unterrichten oder ob sie hauptsächlich die beiden fachlich anspruchsvolleren Niveaus E und P betreuen.
Besonders wichtig ist, dass der heutige integrative Ausbildungsweg (vierjährige Ausbildung an der PH) zur Lehrberechtigung für das Niveau A und die Kleinklassen führt, während der derzeitige konsekutive Ausbildungsweg (dreijährige fachliche Ausbildung an der Universität, gefolgt von einer kurzen pädagogischen Ausbildung an der PH) zur Lehrberechtigung für die Leistungsniveaus E und P der Sekundarstufe I führt.»
Hohe Bildungsqualität wird nicht mit Einheitslehrpersonen erreicht
Die Stärke der PH liegt in der sozialpädagogischen, methodisch-didaktischen und psychologischen Ausbildung, die Stärke der Universität hingegen in der Vermittlung der fachwissenschaftlichen Kenntnisse und Kompetenzen. Dieser Umstand muss für die künftige Lehrpersonenausbildung in höherem Masse berücksichtigt werden.
Künftig soll sich die PH vollumfänglich auf die Ausbildung der künftigen Lehrpersonen der Kleinklassen und des Leistungsniveaus A konzentrieren. Die Erlangung pädagogischen und psychologischen Geschicks sowie praxisnahe Fähigkeiten wie beispielsweise das Betreuen und Fördern von verhaltensauffälligen Schüler/-innen und das Unterrichten in «schwierigen» Klassen müssen zentrale Lerninhalte sein, welche die PH umfassend vermitteln könnte. Damit die Lehrpersonen der Kleinklassen und des Leistungsniveaus A zu ihren Schüler/-innen ein enges und vertrauensvolles Verhältnis aufbauen können, sollen diese möglichst viele Fächer unterrichten, sodass die Anzahl Bezugspersonen insgesamt gering bleibt. Die Intensität der Fachausbildung kann dabei etwas zurücktreten, ohne dass freilich Kerninhalte auf der Strecke bleiben.
Damit künftige Lehrpersonen indes dem höheren fachlichen Niveau in den beiden Leistungsprofilen E und insbesondere P gerecht werden können, ist eine fundierte fachwissenschaftliche Ausbildung an der Universität unabdingbar. Die PH kann das in dieser Tiefe nicht leisten, die Universitäten jedoch sind dafür spezialisiert. Eine etwas kürzere pädagogische und methodisch-didaktische Ausbildung der angehenden Lehrpersonen der Niveaus E und P könnte weiterhin an der PH erfolgen und beispielsweise in einem einjährigen Intensivkurs bestehen.
Kurzum: Es bedarf unterschiedlicher Ausbildungsprofile für künftige Pädagoginnen und Pädagogen je nachdem, welche Schüler/-innen sie in welchen Leistungsniveaus später unterrichten werden. Der Fokus muss jeweils daraufgelegt werden, welche Kompetenzen dann in besonderem Masse gefragt sind.
Jürg Wiedemann
Vorstand Starke Schule beider Basel
16.09.2024
Wenn Inklusion Exklusion bewirkt
Zur aktuellen Diskussion im Grossen Rat im Kanton Basel-Stadt über Einbezug/Inklusion oder Ausschluss/Exklusion von Schüler:innen - Unbedachtes von der Politik:
Lehrplan 21: Der Name ist Programm. Der Lehrplan 21 ist eine umfassende Orientierungshilfe zur Gestaltung des Unterrichts für die Lehrpersonen. Wie jede Art von Plan ist auch der Lehrplan 21 nur ein Abbild der Wirklichkeit. Die Aufgabe der Lehrpersonen ist es, für ihren gemeinsamen Weg mit den ihnen anvertrauten Kinder/Jugendlichen und der alltäglichen Realität im Klassenzimmer Prioritäten zu setzen. Dies ist ein schwieriges Unterfangen, denn da gibt es Standards, die zu erfüllen sind und ein reiches Angebot von Lehrmitteln für jedes Fach.
Standards: Sind die Standards eine hilfreiche Orientierung? Die Standardisierung via Lehrplan 21, ohne Berücksichtigung der besonderen Lebensräume der Kinder verleitet dazu, dass Schule realitätsfremd wird. Der frühe Unterricht in F und E ohne die Rücksicht darauf, dass die Schriftsprache für viele eine «Fremdsprache» ist. Dies gilt sowohl für die Rechtschreibung als auch für das Sprechen, die Aussprache!
Lehrmittel: Die Lehrmittelverlage veröffentlichen immer neuere «zeitgemässere» Lehrmittel mit «akademisiertem» Inhalt und einem entsprechend abstraktem Wortschatz. Sie haben toxische Wirkungen besonders für junge Lehrpersonen. Die vollkommenen, perfekten Unterlagen lähmen die persönliche, authentische, kreative und ortsbezogene Gestaltung jeden Unterrichts und schaffen unter Umständen gleichzeitig eine unsichtbare aber spürbare Mauer zwischen Lehrperson und Klasse.
Für Kinder aus sogenannt bildungsfernen Familien eine diskriminierende Wirkung. Vielleicht wäre es ja hilfreich, wenn unsere Schulen, insbesondere unsere Volkschulen sich vom Perfektionsanspruch der Standards und der Lehrmittel verabschieden könnten und sich dafür an der Entwicklung des einzelnen Kindes und seines Platzes in der Klasse orientieren und entsprechend seines Alters fördern und fordern.
Peter Rietschin
Ehemalige Lehrperson
12.09.2024
Schulabsentismus: Eine wachsende Herausforderung
Die Schweiz steht vor einer zunehmenden Herausforderung: Das Phänomen des Schulschwänzens und der Schulverweigerung hat besorgniserregend zugenommen. Verschiedene Kantone, wie beispielsweise Baselstadt, ergreifen nun auf gymnasialer Stufe Massnahmen, um diesem Trend entgegenzuwirken. Ein möglicher Ansatz sieht striktere Anwesenheitspflichten vor, um Schülerinnen und Schüler stärker an den Unterricht zu binden.
Im Kanton Basel-Stadt wird zurzeit über eine neue Regelung nachgedacht, welche die Zulassung zur Maturaprüfung für Gymnasiastinnen und Gymnasiasten an die Voraussetzung bindet, dass in den zwei Jahren zuvor mindestens 80 Prozent des Unterrichts besucht wurden. Dadurch soll sichergestellt werden, dass die Schülerinnen und Schüler regelmässig am Präsenzunterricht teilnehmen. Die Massnahme wird von den Bildungsbehörden als wichtiges Signal gewertet, auch wenn sie nicht alle Ursachen des Absentismus beseitigen kann. Dabei stehen weniger schwere Krankheitsfälle im Vordergrund, sondern vielmehr diffuse Gründe, welche eine Vielzahl von Abwesenheiten erklären.
Seit der Corona-Pandemie hat der Schulabsentismus in der Schweiz stark zugenommen. Neben den schulischen Herausforderungen spielen auch psychische Probleme eine immer grössere Rolle. Jugendliche sind zunehmend von Zukunftsängsten oder sozialen Phobien betroffen, was sich auch auf ihre Teilnahme am Unterricht auswirkt. Lucius Hartmann, Präsident des Vereins Schweizerischer Gymnasiallehrpersonen, und Margrit Stamm, die seit vielen Jahren zu Absentismus forscht, weisen zu Recht darauf hin, dass die Pandemie das Bewusstsein für Krankheitssymptome verändert hat. Viele Schülerinnen und Schüler bleiben zu Hause, auch wenn sie nur leichte Beschwerden verspüren, oft mit Unterstützung ihrer Eltern.
Um langfristige Lösungen zu finden, muss jedoch nicht nur über strengere Regeln diskutiert werden, sondern auch über Massnahmen, welche die Motivation der Jugendlichen stärken und niederschwellige psychische Unterstützung bieten.
Alina Isler
Vorstand Starke Schule beider Basel
09.09.2024
Integrative Beschulung mitverant- wortlich für den Bildungsabbau
Ob Kinder und Jugendliche den Unterricht stören, ob sie aufgrund einer Beeinträchtigung eine intensive Betreuung innerhalb der Klasse benötigen oder ob sie gewaltbereit sind, sie erschweren alle ein ruhiges Lernklima. Sie tragen damit wesentlich zum Bildungsabbau bei. Dieser ist erheblich wie Umfragen und Rückmeldungen von Lehrpersonen gegenüber der Starken Schule beider Basel zeigen.
Vor der Umstellung von schulischer Separation zu Integration wurden Unterrichtsstörungen als Defizite gesehen, weil sie den Bildungserfolg der Lernenden beeinträchtigen. Stark verhaltensauffällige Kinder wurden Kleinklassen oder in schweren Fällen Sonderschulen zugeteilt, wo sie von hochqualifizierten Lehrpersonen mit heilpädagogischer Ausbildung betreut wurden. Vielen gelang so der Übertritt in die Berufswelt. Ohne Separation wären diese Erfolge kaum möglich gewesen.
Der Wechsel zur integrativen Schule änderte alles: Im Namen der Chancengleichheit wurden fast alle Schülerinnen und Schüler in Regelklassen integriert. Die Personalkosten stiegen in der Folge massiv an. Der Erfolg aber blieb aus, wie sich heute deutlich zeigt. Die Chancen sind ungleicher denn je und zusätzlich kommen fast alle Lernenden beim Schulstoff zu kurz.
Die Zustände in den Integrationsklassen sind heute oft haarsträubend chaotisch und weit entfernt von einer positiven Lernatmosphäre. Lernende, Eltern und Lehrpersonen sind frustriert. In dem Sinne bedeutet Integration: Wenn es für niemanden stimmt. Die Einsicht in das Scheitern des integrativen Bildungssystems setzt sich auch in der Fachwelt durch, wobei es für einige Fachleute noch immer einen Tabubruch darstellt, dies öffentlich zuzugeben. Man nimmt mehr Rücksicht auf die Erfinder der Integration als auf die Lernenden.
Durch eine vermehrte separative Beschulung können einerseits stark verhaltensauffällige Jugendliche wieder besser betreut und andererseits Lehrpersonen sowie Lernende der Regelklassen entlastet werden. So entsteht erneut ein ruhiges, motivierendes Lernumfeld im Klassenzimmer. Dadurch wird der Abwärtstrend der Bildungsqualität gebremst. Nicht zuletzt verbessert sich durch ein separatives Schulsystem die Chancengleichheit wieder, die durch die Integration stark beeinträchtigt ist.
Jürg Wiedemann
Vorstandsmitglied der Starken Schule beider Basel
07.09.2024
Kleinklassen?
In Baselstadt wird seit Monaten wieder über die erneute Einführung der Kleinklassen diskutiert, nachdem diese vor Jahren abgeschafft wurden unter dem Zauberstab der Integration. Der Zauber ist vergangen – Ernüchterung hat sich breit gemacht. Die beiden Positionen «Kleinklassen sofort» und «Integration um jeden Preis» stehen sich nach wie vor unversöhnlich gegenüber, während im breiteren pädagogischen Mittelfeld sich langsam aber sicher die Einsicht durchsetzt, dass es mit der Integration nicht wirklich zum Besten bestellt ist.
Reformwahnsinn
Hätte jemand den Auftrag erhalten, das staatliche Schulsystem nachhaltig zu schädigen und für diese Aufgabe eine Strategie vorgelegt – er hätte es nicht nicht besser ausführen können als so, wie die Bildungssystemgeschichte in den letzten zwanzig Jahren gelaufen ist. Richtig krass wurde der Reformvollzug mit der Idee, alle Schülerinnen und Schüler fortan nur noch in Regelklassen beschulen zu wollen. Integration… schöne neue Welt. In Tat und Wahrheit lag diese neue Weltkugel schnell einmal in Scherben – viele Lehrpersonen gerieten ob der schier nicht bewältigbaren Aufgaben an den Rand einer Erschöpfung – Burnout-Fälle häuften sich. Aber hey – egal. Nicht aufgeben! Hartgesottene Boys und Girls an den Lehrpulten schaffen das. Der Job ist halt nichts für Weicheier.
Die Geschichte des Schiffs
Ich erinnere mich an eine Veranstaltung der KLS in Sissach – es ging um die künftig voranzutreibende Integration. Das Mitleid mit den armen Sonderschülerinnen und Sonderschüler stand im Vordergrund. Der Referent, der uns den künftigen Kurs der Staatsschule schmackhaft machen sollte, bemühte den Vergleich mit einem grossen Schiff (Staatsschule) und dem kleinen Schlauchboot (Kleinklassen). Er sagte zu uns: Das Staatsschulschiff verkraftet doch die Aufnahme der wenigen Schlauchbootinsassen – welcome on board. Da müssen einem doch fast die Tränen kommen… Ich war versucht, ihm zu antworten, dass ein paar somalische Piraten durchaus in der Lage seien, ein grosses Handelsschiff zu kapern und dessen Weiterfahrt zu verhindern. Doch ich liess es – ich wollte ja nicht den Spielverderber geben. Im Nachhinein und zwei Jahrzehnte schlauer muss ich sagen: Das wäre leider die passende Antwort gewesen. Viele grössere Klassenschiffe sind inzwischen fahruntüchtig geworden oder gar gekentert.
Träumen ist doch erlaubt
Die an und für sich noble Idee, Schülerinnen und Schüler mit besonderen Bedürfnissen nicht per se vom Regelunterricht auszuschliessen und zu versuchen, sie am Unterrichtsgeschehen mit ihren Kamerädli teilhaben zu lassen, adelt die Ideengeber und die Ausführenden, sollte ein solches Konzept denn gelingen. ABER ES GELANG NICHT! IN KEINSTER ART UND WEISE. Die fortlaufende Planung unter dem Motto «Learning by doing» zeitigte eine Entwicklung, die oft bei grossen staatlich verordneten Projekten zu beobachten ist: Es braucht mehr Zeit, mehr Personal und viel mehr Finanzen, die aber nicht vorhanden sind. Das Resultat ist dann eine Kette von (faulen) Kompromissen.
Der integrative Alltag
Eine Lehrerin, ein Lehrer steht vor einer Klasse mit 36 Kindern. So bin ich in die Primarschule gegangen. Eine Lehrperson, eine Klassenassistenz, eine Heilpädagogin und ggf. noch der oder die Sozialbeauftragte der Schule wirbeln um die Schülerinnen und Schüler (neudeutsch Lernende) herum – es ist ein ständiges Kommen und Gehen, vor allem wenn z. B. Yaël ins Sondersetting darf (nein – das ist kein Ausschluss, alle verstehen das…). So geht Schulunterricht heute. In einigen Unterrichtsräumen werden sogar Ohrenschütze verteilt, um den Geräuschpegel für die Kinder erträglicher zu machen, wobei anzumerken ist, dass diese Massnahme auch in nicht integrativ geführten Klassen durchaus an der Tagesordnung sein kann. Zurück zu Yaël: Er blickt beim Verlassen des Schulzimmers zurück – einige Kamerädli lachen verstohlen. Was nun im Klassenzimmer laufen wird, verpasst Yaël. Dafür wird er von seiner Lernbegleiterin eins zu eins betreut. Integration mittels partieller Absonderung – absonderlich. Hat sich eigentlich schon einmal jemand von der Fraktion «Integration über alles» gefragt, was dieser Spiessrutenlauf mit einem Kind wie Yaël macht?
Aufwand und Ertrag
Der Tenor von Abnehmerinstitutionen auf der Sekundarstufe II ist seit Jahren gleich, verschärft sich aber von Jahr zu Jahr: Das Niveau der zugeteilten Probandinnen und Probanden sinkt. Gleichzeitig steigt der monetäre Aufwand für unser Schulsystem stetig – unbequeme Fragen stellt man besser keine, um nicht gleich in die rechte Ecke gestellt zu werden. Aber jedem ist eigentlich klar: Diese Gleichung hat im Endeffekt keine Lösung. Da nützen auch komplexe Zahlen nichts. Um die Integration zu verankern, wurden immer mehr Kinder als Therapiefälle deklariert. Schulpsychologische Abklärungen à gogo und damit eine rasante Zunahme von Massnahme-Bedürftigen. Ein Schelm, der Böses ahnt. Zu guter Letzt: Die Mär von hilfsbereiten Fortgeschrittenen in der Klasse, die den Langsameren geduldig auf die Sprünge helfen, mag eine Zeitlang wahr sein – am Ende verlieren aber alle und der Durchschnitt feiert Urständ. Ein solches Konzept nenne ich schlicht und einfach missbräuchlich!
Der Ausweg
Eine ehrliche Analyse der aktuellen Zustände täte gut. Ideologie hat noch nie einen begehbaren Boden geschaffen. Schonungslos müsste eingestanden werden, dass jahrelang Kinder hintergangen und Lehrpersonen schamlos ausgenutzt wurden. Deshalb: Kleinklassen jetzt! Zum Wohl der in dieser Art und Weise Bedürftigen und zum Wohl von Lehrerinnen und Lehrern, die den unmöglichen Spagat zwischen «kaum erzogen und lernschwach» bis hin zu «genial und der Klasse voraus» nicht dauerhaft hinkriegen können und müssen.
Daniel Vuilliomenet
ehemaliger Sekundarlehrer Niveau E, P, A und Kleinklasse
06.09.2024
Einführung von Kleinklassen im Stadtkanton
Am 26. Juni 2024 hat die Bildungs- und Kulturkommission (BKK) ihren Bericht zur Verbesserung der integrativen Schule veröffentlicht. Neu sollen sogenannte Förderklassen eingeführt werden. Damit wird die «Förderklassen-Initiative», welche von der Freiwilligen Schulsynode (FSS) lanciert und eingereicht wurde, weitgehend erfüllt. Das Initiativkomitee erwägt deshalb, die Initiative zurückzuziehen.
Seit über zwei Jahren setzt sich die FSS dafür ein, dass Förderklassen im Angebot der integrativen Schule in Basel-Stadt enthalten sind. «Manche Schüler*innen brauchen aus verschiedenen Gründen eine kleinere Lerngruppe oder ein sonderschulisches Angebot, um sich besser entfalten zu können.» schreibt die FSS in einer Medienmitteilung. Schüler*innen sollen – wenn immer möglich – nur während einer beschränkten Zeit eine Förderklasse besuchen. Während dieser Zeit bleibt «das Hinarbeiten auf die Reintegration der Kinder und Jugendlichen ins Regelklassensystem» ein zentrales Thema.
Rückzug der Initiative durchaus eine Möglichkeit
Dem Initiativkomitee ist wichtig, dass bei der Erarbeitung und Umsetzung der Massnahmen die Lehr- und Fachpersonen miteinbezogen werden. Ausserdem sollen bei der Durchführung keine administrativen Hürden gesetzt werden, welche die Förderklassen verunmöglichen. Sollten diese Voraussetzungen gegeben werden, erwägt das Initiativkomitee einen Rückzug der «Förderklassen-Initiative».
Abschaffung der Kleinklassen im Stadtkanton war ein fataler Fehler
Die Starke Schule beider Basel begrüsst die Entwicklung im Stadtkanton hin zur erneuten Einführung von Kleinklassen, die neu als Förderklassen bezeichnet werden. Die Abschaffung der Kleinklassen im Stadtkanton vor vielen Jahren war ein fataler Fahler, der zu einer grossen Belastung für die Schüler*innen und Lehrpersonen geführt hat. Die Wiedereinführung ist ein logischer Schritt in die richtige Richtung.
Kleinklassen in Baselland immer möglich
Folgt der Grosse Rat dem Vorschlag der BKK, könnten Förderklassen schon ab Sommer 2025 wieder möglich werden. Im Gegensatz zu Basel-Stadt, sind im Kanton Basel-Landschaft Kleinklassen nie aus dem Bildungsangebot verschwunden.
Lena Heitz
Vorstand Starke Schule beider Basel
03.09.2024
Studierende der PH FHNW soll das Anrecht auf ihre Kurswahl zustehen
Die Pädagogische Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz (PH FHNW) steht seit vielen Jahren in der Kritik. Neben praxisfernen Lerninhalten, wird auch das Anmeldeverfahren für die Module bemängelt. Am 12. September reicht Landrätin Anita Biedert einen in Zusammenarbeit mit der Starken Schule beider Basel (SSbB) erarbeiteten Vorstoss ein. Gefordert wird eine grundsätzliche Änderung des Anmeldeverfahrens. Neu sollen die Studierenden ein Anrecht zum Besuch der Kurse ihrer Wahl haben.
Wortlaut des Vorstoss
«Seit vielen Jahren schneidet die Pädagogische Hochschule (PH) der FHNW bei Umfragen ungenügend ab. Die Kritikpunkte sind stets dieselben: Praxisferne Lerninhalte mit unergiebigen, zeitaufwändigen Arbeitsaufträgen, wenig studierendenfreundlich, desaströse organisatorische Zustände, chaotisches Einschreibeverfahren, Dozierende, die über einen längeren Zeitraum nicht mehr an einer Schule (Primarstufe/Sekundarstufe I/Sekundarstufe II) unterrichtet haben.
Auch die jüngste, fundiert durchgeführte Umfrage einer Gruppe von Studierenden bestätigt einmal mehr: Die PH FHNW ist keine gute Hochschule. Aufgrund der sehr hohen Beteiligung von 823 Studierenden sind die Umfrageergebnisse, die von der Starken Schule beider Basel im August publiziert wurden, sehr aussagekräftig: Lediglich 13.7% der an der Umfrage teilnehmenden Studierenden erachtet die PH als gute Hochschule. 58.3% sind mit der PH unzufrieden und würden diese nicht weiterempfehlen. 28.9% nahmen keine klare Haltung ein - siehe folgende Grafik.
Quelle: http://starke-schule-beider-basel.ch/archiv/Archiv_Artikel/StudierendeerteilenderPHFHNWeineknallendeOh.aspx
In einem offenen Brief fordern 105 Studierende die Parlamentarier/-innen der beiden Basler Halbkantone auf, der «PH FHNW endlich auf die Finger zu schauen». Die «Zustände sind katastrophal und können so nicht hingenommen werden!».
Eines der zahlreichen Hauptprobleme ist seit vielen Jahren das Anmeldeverfahren. Viele Studierende können gewünschte Kurse nicht belegen, was nicht selten zu einer Verlängerung der Studienzeit und damit zu höheren Ausbildungskosten führt. Hintergrund ist, dass die PH oft eine nicht nachvollziehbare Beschränkung der Höchstzahl von Kursen festlegt, obwohl zusätzlicher Platz vorhanden wäre.
Der Regierungsrat wird gebeten, mit den anderen drei Trägerkantonen der PH FHNW das Gespräch zu suchen und darauf hinzuarbeiten, dass das Anmeldeverfahren möglichst umgehend in folgendem Sinne geändert wird: Studierende haben das Anrecht, Kurse ihrer Wahl zu besuchen. Den Studierenden wird ermöglicht, Kurse auch online zu verfolgen, um auch damit auf eine Beschränkung der Kursteilnehmerzahlen verzichten zu können. Zudem wird jegliche Präsenzpflicht vollständig aufgehoben.»
Vernichtende Umfrageergebnisse
Kürzlich publizierte die Starke Schule beider Basel die Umfrageergebnisse von Studierenden der PH. Das Resultat ist für die PH vernichtend. In mehreren Kantonen sind nun auch politische Vorstösse in Vorbereitung. Die Kantonsparlamente und Regierungen der vier Trägerkantone sind nun zum Handeln aufgefordert und die notwendigen Verbesserungen einzuleiten.
Anahi Sidler
Sekretariat Starke Schule beider Basel
01.09.2024
Hoher Anteil der Lernenden im E- und P-Niveau
Nach der Primarschule werden die Schüler/-innen in den beiden Basler Halbkantonen ins Niveau A (allgemeines Niveau), E (erweitertes Niveau) oder P (progymnasiales Niveau) eingeteilt. Interessant ist ein interkantonaler Vergleich der Kantone betreffend Anzahl Schüler/-innen, welche das leistungsschwächste Niveau besuchen.
Für den interkantonalen Vergleich unterscheidet das Bundesamt für Statistik (BFS) zwischen Grundanforderungen und erweiterten Anforderungen. Nur im Kanton Luzern werden die Klassen nicht leistungsmässig selektioniert. Dieser Kategorisierung entsprechend gehört der Leistungszug A in die Kategorie der Grundanforderungen und die Leistungszüge E und P in die Kategorie der erweiterten Anforderungen.
Der vergleichsweise höchste Wert von Schüler/-innen in der Kategorie der erweiterten Anforderung erreicht im Jahr 2023 der Kanton Basel-Land mit einer Prozentzahl von 78 Prozent. Im Aargau gab es einen ähnlichen Wert. Die Kantone Zürich, Bern und Solothurn hingegen haben einen deutlich tieferen Wert mit rund 65 Prozent. (siehe Grafik)
Dass im Vergleich zu den Kantonen Zürich, Bern und Solothurn im Baselbiet verhältnismässig wenige Schüler/-innen das Leistungsniveau A besuchen, hat gemäss Fachkreisen die negative Konsequenz, dass das Leistungsniveau in den Baselbieter E- und P-Klassen tiefer ist. Wenn leistungsschwächere Schüler/-innen ein höheres Niveau besuchen, so sinkt verständlicherweise die Leistung in diesem höheren Niveau. Dies könnte einer der Gründe sein, weshalb die Baselbieter Schüler/-innen gemäss der Pisa-Studie in den Fächern Deutsch und Mathematik im interkantonalen Vergleich schlecht abschneiden.
Charlotte Höhmann
Sekretariat Starke Schule beider Basel
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