Ohne elterliche Sorge viele schulische Sorgen

Bild: © Julian Loretz
Trotz der noblen Aufgabe, Schülerinnen und Schülern auch Finanzkompetenz zu vermitteln, waren Ende Januar 2025 rund 11’000 junge Erwachsene im Alter zwischen 18 und 24 Jahren verschuldet. Die Ursachen für die Schuldenfalle sind vielschichtig: Beeinflussung des Kaufverhaltens durch Social Media, unreflektiertes Online-Shopping, lasche Bonitätsprüfungen bei Ratenzahlung sowie bargeldloses und damit unsichtbares Geldausgeben.
Die Vermittlung eines verantwortungsvollen Umgangs mit Geld liegt in erster Linie bei den Eltern – und die elterliche Sorge ganz allgemein ist im Zivilgesetzbuch verankert. In ihrer Vorbildfunktion thematisieren Eltern etwa das Haushaltsbudget oder wohlüberlegte Kaufentscheidungen. Sie entscheiden, ob sie ihren Kindern teure Markenkleidung kaufen oder ob jüngere Geschwister auch einmal Kleider der älteren übernehmen. Ihre Einstellung trägt massgeblich dazu bei, ob sich ihr Kind auch über ein Occasion-Bike mit ein paar Kratzern freut. Die Eltern treffen Vereinbarungen und nutzen sinnvolle Konzepte wie beispielsweise den Jugendlohn, um ihren Kindern den Wert von Geld bewusst zu machen.
Am jährlichen Zukunftstag schickt der Kanton Baselland alle Achtklässlerinnen und -klässler u.a. in einen Familienhaushalt. Die Jugendlichen sollen «unbezahlte Arbeit hautnah erleben». Wenn aber 14-Jährige noch nicht wissen, welche Arbeiten täglich im Haushalt anfallen, ist in der Erziehung Grundlegendes versäumt worden. Klassenlager zeigen: Während manche Jugendliche noch nie einen Besen in der Hand gehalten haben oder nicht in der Lage sind, einen Geschirrspüler einzuräumen, arbeiten andere selbstständig, geschickt und gewissenhaft mit – weil sie es zu Hause gelernt haben, weil sie es können, weil der Einsatz für die Gemeinschaft für sie selbstverständlich ist. Ein obligatorischer Haushaltstag – der einzige in neun Schuljahren! – mag gut gemeint sein, verfehlt die beabsichtigte Wirkung aber in zweifacher Hinsicht: Er bringt keinen Erkenntnisgewinn für Engagierte und keinen nachhaltigen Lerneffekt für Verwöhnte.
Aktuelle Studien belegen, dass die psychische Gesundheit der jungen Generation angeschlagen ist. Depressive Symptome, Angststörungen, Stress sowie emotionale Erschöpfung gehören zu den häufigsten Formen der Belastungen. Neben globalen Krisen, Leistungsdruck und Unsicherheiten bei der Berufsfindung beeinträchtigt auch die intensive Nutzung von Smartphones das Wohlbefinden der Heranwachsenden. Reizüberflutung führt zu Konzentrationsstörungen, exzessiver Social-Media-Konsum fördert negative Selbstbilder. Zahlreiche Schulen haben mittlerweile handyfreie Zonen eingeführt – mit gutem Grund. Schülerinnen und Schüler, die sich in den Pausen auf Netflix und in den (a)sozialen Medien tummeln oder «durchgamen», erscheinen in einem anderen mentalen Zustand zurück im Unterricht als solche, die sich bewegen, sich austauschen oder unter einem Baum ein Znüni geniessen. Die Rückmeldungen sind durchwegs positiv.
In einer Klassendebatte zum Umgang mit dem Handy brachte eine Achtklässlerin die Problematik auf den Punkt: «Wenn es einem zu Hause langweilig wird, braucht es einen kreativen Effort, um die Langeweile zu überwinden. Hätte ich als Primarschülerin schon ein Handy gehabt, wäre mir das kaum gelungen.» Ein schönes Lob an ihre Eltern, die sich ihrer Verantwortung bewusst waren und daheim für ein gesundheitsförderndes Medienkonzept sorgten – geduldig, verständnisvoll und beharrlich. Das alles gelang resp. gelingt ganz ohne zusätzliches Job-Enrichment der Lehrpersonen in Form eines neuen Fachs namens «Glück».
Dr. Richard Harris, Höhlentaucher und Australier des Jahres, der 2018 bei einer Rettungsaktion thailändischen Fussballjunioren das Leben gerettet hat, ruft in seinen Interviews Eltern dazu auf, ihre Kinder nicht zu Bildschirmnutzern, sondern zu Abenteurern und guten Risikomanagern zu erziehen. In der heutigen risikoscheuen Gesellschaft sei es umso wichtiger, Kindern regelmässig Outdoor-Aktivitäten zu ermöglichen. Denn Abenteuer in der freien Natur stärken sowohl das körperliche als auch das geistige Wohlbefinden. So lernen Kinder, ihre Grenzen auszuloten, Ängste zu überwinden, Selbstvertrauen zu gewinnen und Resilienz aufzubauen. Als Lehrer und Vater teile ich Dr. Harris‘ Überzeugung: «My message is very simple. Time is short, get amongst it – and take your kids with you!» «Die Zeit ist knapp, stürzen Sie sich hinein – und nehmen Sie Ihre Kinder mit!»
Philipp Loretz
Präsident LVB
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Was für ein erhellender und präziser Text! Das Ganze ist eine kluge Analyse der täglichen Herausforderungen im Lehrerberuf. Der Beitrag würde es verdienen, von angehenden Lehrkräften, Schulsozialbeitern und generell Schulinteressierten ausführlich diskutiert zu werden. Im Text ist so viel pädagogische Substanz, dass die Lektüre sich wirklich lohnt. Und das alles in einer gut verständlichen Sprache.