Starke Schule beider Basel (SSbB)

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Gastbeitrag

Abschaffen der Hausaufgaben und die nicht bedachte Nebenwirkungen

Die Bildung kennt das „Gesetz der nicht beabsichtigen Nebenwirkungen“. Formuliert hat es der Philosoph und Pädagoge Eduard Spranger. Kaum jemand beachtet es. Viele Schulen wollen die offiziellen Hausaufgaben weglassen – aus pädagogischen Gründen, wie es heisst. Man will Chancengleichheit. Doch wer die Hausaufgaben abschafft, schafft sie trotzdem nicht ab. Bildungsbewusste Eltern werden mit ihren Kindern weiterhin wiederholen und automatisieren. Sie wissen um den Wert des Übens und Festigens. Kinder aus anderen Familien haben diese Chance vielleicht nicht. Die nicht beabsichtigte Folge: Die Schere im Bildungsmilieu öffnet sich weiter.

Carl Bossard, Gründungsrektor PH Zug, Stans
 

News

  • Dienstag, Oktober 22, 2024

    Landrat befasst sich mit bildungspolitischen Themen

    An der kommenden Landratssitzung vom 31.10.2024 werden folgende Bildungsgeschäfte behandelt, welche die Universität, Volkshochschulen, Primarschulen und die Wirtschaft betreffen. (lbe)

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  • Montag, Oktober 21, 2024

    Podiumsdiskussion zum Thema Schulabsentismus

    Der Schulabsentismus im Basler Stadtkanton nimmt immer wie mehr zu. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, findet im kommenden Monat eine vom Erziehungsrat organisierte Podiumsdiskussion statt, die das Thema kontrovers beleuchten soll. (as)

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  • Samstag, Oktober 12, 2024

    Repetition – der immer seltener genutzte Schlüssel zum Lernerfolg

    Das A und O für einen erfolgreichen Lernprozess des Menschen ist die Repetition. Das Hirn muss trainiert werden und braucht Zeit sich Dinge einzuprägen. Vor allem Schulstoff, der emotional nicht als etwas Besonderes konnotiert ist und deshalb länger braucht, um erlernt zu werden, muss immer wieder gefestigt werden. Dies fehlt im heutigen Bildungssystem. Häufig wird die Priorität fast ausschliesslich auf zwischenmenschliche Fertigkeiten und das selbstständige Arbeiten und Lernen der Schülerinnen und Schüler gesetzt. Ob die Senkung des Leistungsniveaus an Schweizer Schulen damit zusammenhängt, gilt es zu untersuchen. (lbu)

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  • Dienstag, Oktober 01, 2024

    Machen Hausaufgaben Sinn?

    Im Rahmen des Programms Politkids hatten Basler Primarschüler*innen die Möglichkeit, ihre Fragen im Grossen Rat einzubringen. Dabei war das Thema Hausaufgaben von Bedeutung, zu welchem die Kinder schlussendlich einen Vorstoss einreichten. (lh)

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  • Montag, September 30, 2024

    Förderklassen-Initiave im Grossen Rat

    Am 18.09.2024 fasste der Grosse Rat mit 92 zu 4 Stimmen den Beschluss, den Gegenvorschlag der "Förderklassen-Initiative" anzunehmen. Laut Medienberichten wird die Initiative nun durch das Komitee zurückgezogen. Die Initiative gilt rückwirkend bereits für das laufende Schuljahr. (lh)

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  • Donnerstag, September 12, 2024

    Ausstellung "Mensch, du hast Recht(e)!"

    In der Wanderausstellung "Mensch, du hast Recht(e)!" haben Schüler*innen vom 5. bis 21. November die Möglichkeit, sich mit den Inhalten Demokratie, Diskriminierung und Menschenrechte zu befassen. Nebst der Ausstellung finden auch Fragerunden statt, welche die Themen Rassismus, Geschlecht und Antisemitismus beinhalten. (lh)

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24.03.2023 - Gastbeitrag

Sollen Hausaufgaben am Gymnasium abgeschafft werden?

Andreas Niklaus, Rektor am Gymnasium Zürich-Nord, mit 2200 Schülern eine der grössten Kantonsschulen in der Schweiz, gedenkt die Hausaufgaben abzuschaffen. Nicht nur der Stoffdruck nehme zu, auch die Erwartungen der Lehrer, der Eltern und der Jugendlichen selbst, zitiert ihn die «NZZ am Sonntag».

14 Stunden Hausaufgaben pro Woche, wie eine Schülerbefragung ergab, seien zu viel, begründete Niklaus und will das Thema mit gleichgesinnten Rektoren in Zürich an die nächste Konferenz der schweizerischen Gymnasialrektorinnen und -rektoren bringen.

Dort scheint die Idee der Abschaffung oder Reduzierung von Hausaufgaben prüfenswert zu sein. «Es gibt viele Hinweise darauf, dass die zeitliche und psychische Beanspruchung immer höher wird», erklärt der Präsident der Konferenz, der Solothurner Rektor Stefan Zumbrunn. Die geplante Maturitätsreform mit mindestens zwei neuen Prüfungsfächern würde die Gymnasiasten zusätzlich belasten und das Problem verschärfen.

Doch obwohl die Zahl der erschöpften Gymnasiasten, die in psychiatrischer Behandlung sind, seit der Pandemie gestiegen ist, stösst die Idee, die Hausaufgaben unter den Tisch fallen zu lassen, bei zahlreichen Lehrern auf massiven Widerspruch. Bei den Hausaufgaben anzusetzen, sei der falsche Ansatz, lautet die Kritik.

Gymilehrer René Roca unterrichtet schon 30 Jahre Geschichte und ist seit geraumer Zeit am Münsterschulhaus in Basel tätig. Er verneint, dass die Hausaufgaben die Gymnasiasten zu stark belasten würden «Das ist ein Problem der Volksschule: Viele Schüler, die ans Gymnasium gelangen, haben den Rucksack nicht so gepackt, wie er sein müsste. Daher rührt die Überlastung», sagt Roca. Obschon der Lehrplan 21 den Fokus auf das Erlernen von Kompetenzen richte, könnten die Schüler immer weniger, hätten beispielsweise grossen Lücken im Geschichtsunterricht, der im Sammelfach «Räume, Zeiten, Gesellschaft» zu kurz komme. «Aber vor allem können die Schüler immer weniger selbstorganisiert lernen. Das ist kein Problem der Gymnasien und kein Hausaufgabenproblem», sagt Roca.

Ähnlich argumentiert Jürg Wiedemann, Mathematiklehrer in Allschwil und Mitgründer des Netzwerkes «Starke Schule beider Basel» : «Der Druck auf die Schüler kommt von den Eltern, die ihre Kinder um jeden Preis am Gymnasium haben wollen.» Keiner wolle mehr ins allgemeine Niveau A oder in die Sekundarschule Niveau E gehen, alle drängten ins höchste Niveau P – ins Vorgymi, wie es in anderen Kantonen heisst.

Hausaufgaben für die Chancengleichheit

Balz Bürgisser war Mathelehrer am Gymnasium Rämisbühl in Zürich. 35 Jahre lang unterrichtete er, versteht aber die Absicht seiner früheren Kollegen nicht: «Hausaufgaben vertiefen doch das erfolgreiche Lernen am Gymnasium. Sie festigen den Stoff und sind ein Zeichen der Chancengleichheit». Wer im Unterricht weniger schnell sei, könne den Stoff zu Hause festigen. «Das darf man nicht einfach aufgeben.» Und Jürg Wiedemann ergänzt: «Die Pädagogen an den Zürcher Gymnasien verkennen, dass Zusatzaufgaben extrem wertvoll sind.» Nirgendwo könnte man selbstorganisiertes Lernen besser lernen als dort, wo Hausaufgaben selbst eingeteilt werden müssen.

Roca befürchtet gar einen Niveauverlust, wenn die Schüler nicht mehr die Gelegenheit erhielten, den Stoff zu Hause zu üben und zu vertiefen. Und auf einen Niveauverlust würden die Hochschulen und Universitäten reagieren – etwa mit einer Ausweitung des Numerus clausus von der Medizin auf andere Fächer, prophezeit Roca: «Schon heute beklagen sich die Hochschulen und kritisieren uns Gymnasiallehrer.»

Keine Klagen von stärker belasteten Berufsschülern

Zu wenig Freizeit am Gymnasium aufgrund von Hausaufgaben? Lukas Jauslin war zwölf Jahre lang Schulleiter in Liestal war und unterrichtet seit 33 Jahren: «Ich habe nur noch den Kopf geschüttelt, als ich von der Zürcher Idee gelesen habe. Man muss das einmal mit der Leistung der Lehrlinge vergleichen, die achteinhalb Stunden am Tag ‘bügeln’ und dann die Hausaufgaben erledigen. Noch viel strenger hätten es jene, die parallel zur Berufsbildung die Berufsmatur machten: «Aber von dort hören wir keine Klagen.»

Dass das Thema Hausaufgaben jetzt aufs Tapet kommt, ist für die Lehrer kein Zufall. Die stationären Behandlungen von Jugendlichen in der Psychiatrie hat um fast ein Fünftel zugenommen. Dies während der Pandemie. «Uns ist aufgefallen, dass Progymnasium-Schüler mehr gelitten haben als Schüler im Niveau A und E», sagt Jauslin. Das könnte mit dem höheren Leistungsdruck im höheren Schulniveau zusammenhängen, was aber gleich nochmals die Frage aufwerfe, ob diese Schüler am richtigen Ort sind.

Zeiten haben sich geändert

Thomas Rätz, Rektor am Gymnasium in Liestal, steht kurz vor der Pension. Seit seinem Einstieg in den Lehrerberuf im 1983 haben sich ein paar Sachen geändert – etwa die Einführung des freien Samstags, was zur Verdichtung des Unterrichts in der Fünftagewoche geführt hat. «Das hat zu weniger verfügbarer Zeit während der Woche geführt und verschiebt die Arbeit aufs Wochenende. Der freie Samstagmorgen werde jedoch oft fürs Ausschlafen statt fürs Lernen genutzt. Heute werde auch mehr Wert auf das Präsentieren und die Teamarbeit gelegt.

«Dieser Koordinationsaufwand mit den Schulkollegen frisst den Schülern zusätzlich Zeit», bemerkt Rätz. Im Hinblick auf die Maturitätsreform, der möglichen Einführung von neuen Fächern am Gymnasium, müsse man darum den Belastungsfaktor der Schüler stark im Auge behalten. Doch die generelle Abschaffung von Hausaufgaben hält auch er für verfehlt. Inwiefern sich das Weglassen von Hausaufgaben auf den Lernerfolg in den einzelnen Fächern auswirkt, müsste erst einmal mit einer wissenschaftlichen Studie belegt werden. Die gibt es meines Wissens zurzeit nicht», sagt Rätz.

Die richtige Dosis

Bei Standortgesprächen ist man an der Schule von Lukas Jauslin auf eine zeitliche Belastung durch Hausaufgaben auf eine Dreiviertel- bis eine Stunde gekommen. Das hält er für angemessen. Für Balz Bürgisser sind es «nicht mehr als 80 bis 90 Minuten» pro Tag. Doch «on top» kämen Prüfungsvorbereitungen und Lernen: «Das macht man als Schüler am freien Nachmittag oder am Samstagmorgen.» Wiedmann legt Wert darauf, dass seine Schüler den Sinn von Hausaufgaben als Vertiefung und Festigung des Stoffes verstehen: «Da kann es heissen: Macht so viel ihr könnt. Und die eine Schülerin macht mehr und der andere Schüler weniger. Das kann man auch mal gut sein lassen.» Über die Belastung müsse man mit der Klasse immer wieder reden und ihr den Sinn von Hausaufgaben erklären, sagt René Roca.

Daniel Wahl
Journalist Nebelspalter

[Dieser Artikel ist zuerst bei Nebelspalter.ch erschienen.]