1991 war das Jahr, in dem ich in meinen Beruf als Sekundarlehrer definitiv eingestiegen bin – im Vollpensum als verantwortlicher Klassenlehrer und in sieben Fächern gleichzeitig. Dies nach einem soeben abgeschlossenen Berufsmusikerstudium (Querflöte). Zuvor war ich in Stellvertretungen tätig gewesen, nachdem ich drei Jahre bei der mobilen und stationären Spielanimation in Basel gewirkt hatte (Robi-Spielplätze). Im Folgenden stelle ich den Anfang meiner Lehrer-Laufbahn dem Schluss meiner Unterrichtszeit gegenüber. Etwas sei bereits verraten: Nicht alles ist schlechter geworden, aber Vieles.
Eine etwas andere Ausgangslage
Zu Beginn meiner Arbeit wurde ich in den technischen Support meiner Unterrichtstätigkeit eingeführt, den ich natürlich von meinen Stellvertretungen her bereits kannte: Matrizendruck, Hellraumprojektor, 16mm-Filmprojektor, Kassettenabspielgerät und handschriftlich geführte Zeugnisnotenlisten. Dazu fürs Fach Geografie (damals noch mit ph geschrieben) grosse Stempel für das Bereitstellen von Kartenumrissen. Standard waren handgeschriebene Hefteinträge, vermittelt wurde ab Wandtafel und die Prüfungen und Elterninformationen verfasste ich ebenfalls handschriftlich.
Wertvolle Zeit
Was mir im Rückblick auffällt: Trotz hoher Arbeitsbelastung, vor allem mit sieben Fächern (M / PH / B / CH / GG / MU und BG), blieb der Alltag wesentlich ruhiger als später. Stillarbeitsphasen verliefen im Wesentlichen still. Selbstverständlich unterrichtete ich nicht nur Engel, doch es waren Dinge möglich, die heute nicht einmal mehr erträumt werden. Ich erinnere mich an ein Klassenlager im Engadin, wo die Schülerinnen und Schüler Programmpunkte wählen konnten. Sechs von Ihnen entschieden sich für eine Bergtour mit Übernachtung. Ich spreche von der Ersteigung des Piz Morteratsch (3750m) mit Steigeisen, Pickel und Seil. Natürlich geführt durch einen Bergführer, aufgeteilt in drei Seilschaften, von denen ich eine als damals aktiver Alpinist führen durfte. Ich schätze, dass ein solches Unterfangen heutzutage zumindest einen aufwändigen Papierkrieg auslösen würde, falls es überhaupt noch durchführbar wäre.
Die weitere Entwicklung
Eine Trendwende im Schul-Dasein begann mit der Einführung der EDV und Grossprojekten wie etwa HarmoS. Zu Beginn beschränkte sich der Einsatz von Computern auf die Schulverwaltung (Schulleitung und Sekretariat) und auf ein Gerät im Lehrpersonen-Arbeitsraum. Doch das sollte sich nach und nach ändern. Zuhause installierte ich auch einen PC, dessen Funktionen sich aber auf das Verfassen von Texten und deren Speicherungen beschränkte. Bildliche Illustrationen auf Arbeitsblättern waren entweder handgezeichnet oder als Kopie ab Büchern eingeklebt.
Interessanterweise stieg aber die Arbeitsbelastung mit jeder angeblichen, technisch unterstützenden «Entlastung». Im Laufe der Zeit hatte ich immer mehr das Gefühl, kaum mehr Zeit zu haben angesichts aller neu hinzutretenden Aufgaben.
Was mir missfiel, waren die beinahe sektiererisch verkündeten Heilsbotschaften. Ich erinnere mich noch an eine Weiterbildungsveranstaltung zum neuen Mathebuch. Der Referent parlierte grossmäulig, dass im Mathematikunterricht kein Stein mehr auf dem anderen bleiben sollte. Was im Endeffekt aber geschah, war, dass die neue Mathebibel einfach tonnenweise Aufgaben zur Verfügung stellte ohne jegliche Theorie und handliche Lösungsvorlagen für die Lernenden. Daher entschloss ich mich, in meinem Mathe-Lehrgang das Mathematikbuch in Form von Hefteinträgen mit den Schülerinnen und Schülern jeweils selbst zu schreiben und am Schluss die gesammelten Theoriehefte binden zu lassen. Eine Schülerin, deren Hefte ich am Ende der neunten Klasse über die Sommerferien ausgeliehen hatte, um sie zu kopieren, beschwor mich, ihr die Hefte schleunigst zurückzugeben, da sie sie für den Einstieg in ihre technische Lehre brauche.
Die pädagogischen Heilsversprechen mehrten sich, ihr verkündeter Erfolg blieb schlicht und einfach aus. Erinnert sei z. B. an das Projekt Passepartout.
Was gegen den Schluss meiner Zeit als Sekundarlehrer das Fass quasi zum Überlaufen brachte, war die omnipräsente administrative Gängelung der Jugendlichen, sei es mittels Eintragungen im schulischen Administrationstool SAL, Elterngesprächen, Schulsozialarbeit etc. Verspätungen ab 2 Minuten mussten protokolliert werden, sämtliche meiner etwa 120 Schülerinnen und Schüler wurden halbjährlich mittels Prädikate vermessen – ein unpädagogischer Graus sondergleichen.
Ich spreche von einem Vermessungswahn, der auch durch die Digitalisierung des Schulalltages Urstände zu feiern begann, was wiederum Sitzungen und Besprechungen nach sich zog. Doch der Unterricht wurde meines Erachtens nicht besser – im Gegenteil.
Smartphones und Tablets
Ein Quantensprung in Sachen autonomer Recherchen im Unterricht fand statt durch den Einzug von Computern, Handys und Laptops bzw. später Tablets. Was zuerst in einem Computerraum begann mit Feststationen, die z. T. vom Lehrpersonen-Pult überwacht werden konnten, entwickelte sich hin zur eigentlich unkontrollierbaren und pausenlosen Verfügbarkeit von Informationen aus dem Netz. Regeln mussten her. Smartphone und Applewatch hiessen die neuen Spickzettel – mit ChatGPT umso mehr. Inzwischen verbieten etliche Schulen den Gebrauch des Handys während der Unterrichtszeit und den Pausen ganz - unter Androhung von Sanktionen bei Zuwiderhandlung. Das heisst aber nicht, dass Schülerinnen und Schüler ihre personalisierten elektronischen Devices wie z. B. Tablets nicht auch dazu benutzen können, Gspänli via soziale Netzwerke zu mobben. Schulen haben heutzutage mit Problemen zu kämpfen, die 1991 nicht im Ansatz vorstellbar waren ausser in Science-Fiction Filmen.
Dieser Rüstungswettlauf im Klassenzimmer fordert Tribute, vor allem mit dem bis heute obrigkeitlich verordneten inklusiven Unterricht, bei dem eine individuelle Betreuung gefordert wäre, aber nicht im Ansatz leistbar ist bei einer Klassengrösse von bis zu 25 Schülerinnen und Schülern.
Quo Vadis?
Die dänische Psychologin Aida Bikic hat die Schweiz anlässlich ihres aktuellen Besuches in ihrem ehemaligen Internat im Bündnerland eindringlich davor gewarnt, nicht dieselben Fehler zu wiederholen, die Dänemark in der Hysterie um die Digitalisierung der Schule gemacht hat. Bildschirmzeiten von acht Stunden oder mehr, Schreiben nur noch mittels Tastatur, was die Handschrift verkümmern lässt und eine grössere Präsenz im virtuellen Raum als in der erlebbaren Wirklichkeit - das tut der körperlichen und seelisch-geistigen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen nichts Gutes. Davor hat auch schon der deutsche Neurowissenschaftler Prof. Dr. Manfred Spitzer vor Jahren bereits gewarnt.
Lehrerinnen und Lehrer müssen sich eine Autonomie für ihr Tun und Lassen zurückholen, die 1991 noch etwas umfassender war als heute. Doch das braucht den Mut, dem heutzutage geforderten Kadavergehorsam kollektiv eine Absage zu erteilen. Ob der pädagogische Nachwuchs aus den Mühlen der pädagogischen Hochschulen Solches künftig zustande bringen wird – ich setze da ein grosses Fragezeichen.
Daniel Vuilliomenet
ehemaliger Sekundarlehrer