Noten abschaffen – eine gute Idee?
Die nächste Reformbombe ist gezündet: Der Verband schweizerischer Schulleiterinnen und Schulleiter unter der Führung von Thomas Minder und der LCH unter der Leitung von Dagmar Rösler plädieren für die Abschaffung der Noten zumindest in der Primarschule bis und mit sechstem Schuljahr – eine Ausweitung dieser Forderung auf die gesamte obligatorische Schulzeit ist nicht ausgeschlossen und meines Wissens auch schon angedacht. Ist das eine gute Idee? Der folgende Artikel versucht einzuordnen.
Sollte mich jemand fragen, welche Konstante ich dem schweizerischen Schulsystem zuordnen würde für den Zeitraum der letzten dreissig Jahre, meine Antwort käme wie aus der Pistole geschossen: Der permanente Reformdruck. Nun also die nächste Reform. Noten sind nicht mehr zeitgemäss, entbehren jeglicher differenzierter Rückmeldung, demotivieren und sind auch in keinster Art und Weise objektiv trotz Verrechnungsmöglichkeit. Also weg damit. Als Ersatz fungieren sodann Lernberichte, Gespräche und ggf. Prädikate.
Sind Noten richtig?
Die Notengebung ist eine Konstante in unserer Volksschule. Sie bildet in Relation zu einer Skala den Leistungsstand eines Schülers, einer Schülerin in der kürzest möglichen Form ab. Deswegen ist eine Note aber nicht zwingend objektiv, da das Erteilen der Note durch Lehrpersonen erfolgt und damit subjektiven Bewertungskriterien unterliegt. Auch differenziert ist eine Note nicht als Rückmeldung. «4» heisst «genügend». Aber was genügt denn? Da müsste der Anforderungskatalog der Bewertung offengelegt werden. 6 ist nicht gleich 6 – deshalb setzen viele Firmen bei Bewerbungen von Jugendlichen mittlerweile auf eigene Checks.
Dennoch ist das Handhaben von Bewertungsereignissen mit Noten m. E. transparenter und durch Summierung und Gewichtung einschätzbarer als ein Lernbericht. Wie etwa will eine Schulleitung das Rekurswesen organisieren, wenn Eltern gegen gewisse Formulierungen in Lernberichten vorgehen?
Motivation?
Motivation oder Demotivation geschieht nicht durch Noten. Klar ist es nicht erbauend, viermal eine Drei zurückzuerhalten in einem Fach. Die Rückmeldung einer Leistung muss m. E. immer gekoppelt sein an die Gesprächsbereitschaft der Lehrperson und könnte einmal im Semester seitens der die Leistungen zusammenfassenden Klassenlehrperson auch mit einem Bericht versehen sein. Diese Zusatzarbeit müsste aber zwingend ressourciert werden. Das eine tun und das andere nicht lassen.
Wer liest Lernberichte?
Ausführlichere Lernberichte einmal pro Schuljahr könnten tatsächlich hilfreich sein. Ich will aber den HR-Beauftragen sehen, der bei Bewerbungen von Lehrstellensuchenden gut und gerne 50 Lernberichte durchliest und sie zueinander in Relation setzt.
Mit Argusaugen gelesen werden die Lernberichte ggf. von ambitionierten Eltern, eher weniger von Schülerinnen und Schülern… Wenn darin Formulierungen enthalten sind, die ggf. abwertend oder auch nur bewertend daherkommen, entsteht zumindest Diskussionsbedarf. Im Gespräch kann dann ebenso gut auch ein Anwalt mit von der Partie sein. Wer also meint, unangenehmen Auseinandersetzungen entfliehen zu können mittels Lernberichten, wird das blaue Wunder erleben, es sei denn, es wird nur noch schöngeredet. Ob das das berühmte Ei des Kolumbus wäre, bleibe dahingestellt. Dienlich ist so ein Ansatz m. E. eher nicht.
Daniel Vuilliomenet
ehemaliger Sekundarlehrer