Starke Schule beider Basel (SSbB)

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Gastbeitrag

Es lebe der Widerspruch!

Diejenigen, welche Noten und unterschiedliche Leistungszüge abschaffen wollen, strengen gleichzeitig die Abschaffung von Hausaufgaben an. Die angestrebte Aufhebung verschiedener Niveaus verstärkt jedoch die Leistungsheterogenität in den Klassen und damit den Bildungszerfall. Letzterer lässt sich durch Hausaufgaben immerhin etwas minimieren. Doch genau dies soll nun durch ein Hausaufgaben-Verbot verhindert werden. Und durch die Beendigung der Notengebung entfallen auch noch einer für Lernende wichtiger Leistungsanreiz und Orientierungspunkt. Also keine Leistungsanreize, keine Orientierung, dafür aber Leistungs- und Bildungsrückgang?!? Was praktizierenden Lehrkräften und überhaupt allen mit gesundem Menschenverstand als nackter Wahnsinn erscheint, ist seitens der Reformprediger todernst gemeint, und zwar im wahrsten Sinnes des Wortes «Tod». Es hat den Anschein nämlich, dass es den Abschaffungsfetischisten letztlich um die Beseitigung jeglicher Bildung geht. Denn Bildung schafft aufgrund individuell unterschiedlicher Empfänglichkeit Ungleichheit und Ungleichheit wiederum gilt es im verqueren Weltbild der Gleichheitsapostel um jeden Preis zu verhindern. Es entbehrt nicht der Ironie, dass die Jünger der uniformen Ignoranz gleichzeitig einer möglichst individualisierten und diversen Gesellschaft frönen mit wachsender Anzahl Geschlechter. Es lebe der Widerspruch!

Felix Hoffmann, Sekundarlehrer
 

News

  • Mittwoch, November 20, 2024

    Social-Media-Verbot für Jugendliche

    Depressionen, Sucht und Essstörungen sind nur ein Bruchteil der psychischen Probleme, welche durch starken Social-Media-Konsum vor allem bei noch sehr jungen Personen ausgelöst werden können. Australiens Regierung verkündete daher, den Zugang zu sozialen Medien für unter 16 Jährige zu verbieten. Sie ist damit noch radikaler als Frankreich anfangs des Jahres, welche die Altersgrenze auf ab 13 Jahren setzten will. (lh)

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  • Samstag, November 16, 2024

    Gymnasium: Schwerpunktfach EGS stösst auf wenig Zustimmung

    Diskussionen um ein neues Schwerpunktfach an den Gymnasien im Stadtkanton. Nun ist klar, der vorgesehene neue Schwerpunkt Ernährung/Gesundheit/Sport (EGS) wird doch nicht eingeführt. (as)

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  • Freitag, November 15, 2024

    Neuer Schwerpunkt an der PH FHNW

    Seit dem neuen Herbstsemester bietet die PH FHNW ein neues Modul an, bei welchem es den Studierenden ermöglicht wird, ihre Kompetenzen in der Sonderpädagogik zu vertiefen. Der neue Schwerpunkt ist für die Lehrpersonen Sekundarstufe I ausgelegt und trifft auf grosses Interesse. (as)

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  • Samstag, November 02, 2024

    Teileingliederung des Unterrichts von Heimatlichen Sprach- und Kulturkursen

    Die Migrant*innensession 2024 fordert die beiden Basler Halbkantone zur Teileingliederung von heimatlichen Sprach- und Kulturkursen an öffentlichen Schulen auf. (lbe)

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  • Montag, Oktober 28, 2024

    Bildungsfragen werden in der NZZ zunehmend zum Thema

    Lehrpersonen sind in der Schweiz im Durchschnitt unzufriedener geworden und geraten immer mehr an ihre eigenen Grenzen, so die Berichterstattung der NZZ vom August. Seit geraumer Zeit berichtet die Zeitung regelmässig und ausführlich über bildungspolitische Themen und die Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen Meinungen: Die einen sehen das Problem des Leistungsabbaus an unseren Schulen in der integrativen Schule und der Digitalisierung, während die anderen die bildungspolitischen Reformen der vergangenen Jahre verteidigen. (as)

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  • Dienstag, Oktober 22, 2024

    Landrat befasst sich mit bildungspolitischen Themen

    An der kommenden Landratssitzung vom 31.10.2024 werden folgende Bildungsgeschäfte behandelt, welche die Universität, Volkshochschulen, Primarschulen und die Wirtschaft betreffen. (lbe)

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15.07.2022 - Gastbeitrag

Dem Lehrermangel geht die Flucht aus dem Schulzimmer voraus

Lehrer reduzieren ihr Pensum, Lehrerinnen steigen aus dem Beruf aus. Aber kaum jemand nennt die Gründe. Sie liegen in den technokratisch durchgeführten Reformen, schreibt Carl Bossard

«Les Petites Fugues» heisst einer der erfolgreichsten Schweizer Filme, in dem es um die kleinen Fluchten aus dem Alltag in einem jurassischen Bauernhof geht, poetisch inszeniert von Regisseur Yves Yersin. Im Mittelpunkt steht der Knecht Pipe, der sich für seine Pension ein Mofa kauft. Das kleine Gefährt verleiht ihm Freiheit. Damit entflieht er seinem Umfeld. Fliehen! Das ist im Moment auch für viele Lehrerinnen und Lehrer die Devise. In Teilpensen oder gar gänzlich weg aus dem Unterrichten.

Noch nie waren kurz vor den Sommerferien so viele Stellen offen. Im Kanton Zürich etwa sind derzeit 260 Pensen nicht besetzt. Händeringend suchen Schulgemeinden nach Lehrpersonen; verzweifelt werden Pensionierte rekrutiert, Inserate publiziert und Videos aufgeschaltet. «Lehrdiplom von Vorteil», heisst es in Aufrufen. In ihrer Not stellen die Verantwortlichen darum «Personal ein, das weder über ein Patent noch über gute deutsche Sprachkenntnisse verfügt», wie der Berner Grossrat Alain Pichard konsterniert notiert.

Warum diese prekäre Lage? Der Wegfall der Kleinklassen als Folge der Integration ganz unterschiedlicher Kinder in die gleiche Lerngemeinschaft verstärkt die Unruhe im Schulzimmer. Das erschwert den Unterricht und erhöht den Zeitbedarf fürs einzelne Kind. Die Koordinationsabsprachen mit all den Betreuungspersonen sind anspruchsvoll; der administrative Aufwand steigt. Die Arbeitszeit reicht vielfach nicht aus; die Überstunden summieren sich. Viele kürzen darum ihr Pensum. Ein Fakt mit Folgen! 

«Lehrer sollen mehr arbeiten» fordern die Bildungsdirektionen. Sie wollen so den akuten Lehrermangel bekämpfen. Die Flüchtlingskrise akzentuiert ihn noch. Doch nach den Gründen fragt kaum jemand. Vielfach begnügt man sich mit Klischees: Frauen- und Teilzeitberuf, notorische Larmoyanz und ähnliche Stereotype. Solche Vorurteile verdrängen die realen Ursachen. Sie liegen vielfach in der Reformkaskade der vergangenen Jahre. Schule und Unterricht sind für die Verwaltungsstäbe, so macht es den Anschein, primär eine Frage der Systemsteuerung oder der Governance, wie das heute heisst. Für die Bildungsfunktionäre ist alles ist planbar und machbar, alles berechenbar und steuerbar. Vieles wird zudem minuziös vermessen, teilweise auch der Berufsauftrag. Pro Schulstunde sind fürs Vor- und Nachbereiten an gewissen Orten 30 Minuten eingeplant, inklusive Korrekturen. Jeder Praktiker weiss: Das reicht nicht! So entstehen wieder neue Probleme, ganz nach dem Systemtheoretiker Niklas Luhmann: «Beobachtet man das jeweils reformierte System, hat man den Eindruck, dass das Hauptresultat von Reformen die Erzeugung des Bedarfs für weitere Reformen ist.» 

Wer die vielen Top-down-Innovationen betrachtet, erkennt schnell, was radikal anders geworden ist: Das System wechselt von der «Input-» auf die «Output-Steuerung». Den Schulen wird nicht mehr vorgegeben, was inhaltlich zu unterrichten ist. Detailliert wird vorgeschrieben und genau geregelt, was die Schülerinnen und Schüler am Ende können müssen. Festgelegt wird der Output der Schüler und teilweise auch verordnet, wie er zu erreichen sei, also der méthodos, der Weg. Der Lehrplan 21 legt darum kleinparzellierte Einzelkompetenzen fest. Im Fach Musik wird zum Beispiel von einem Kind gefordert: «Kann seinen Körper sensomotorisch wahrnehmen und musikbezogen reagieren.» Ein solches Korsett wird für viele zum Problem.

Aus der subjektiven Warte einer Sekundarlehrerin klingt das so: «Was ich machen muss, ist Stoff durchnehmen mit dem alleinigen Ziel, ihn nachher zu testen und eine Note zu haben.» 20 Examina allein in Französisch, über 60 Prüfungsnoten pro Semester, dazu Zwischenzeugnisse mit Zahlen und ellenlangen Rastern. «Ich muss die Kinder mit Kreuzchen in Kästchen drücken.» Jedes Aufgaben-Vergessen, jedes Zu-spät-Kommen muss vermerkt werden; nach Gründen fragt niemand. Notiert gilt als erledigt, basta: Reduktion auf Kreuzchen und Noten. «Wie wollen Kinder da noch Freude an der Schule behalten?» Das Gleiche gilt auch für die Lehrerin. Sie wird die Schule verlassen. Wie so viele. Eine Einzelstimme zwar, aber kein Einzelfall. «Der Schule laufen die Lehrer davon», warnte die «NZZ am Sonntag» schon vor Jahren.

Der Bauernknecht Pipe trat die Flucht aus dem engen Alltag an. Sein Wegzug änderte am Hof manches. Ob die Flucht so vieler Lehrer in Teilpensen und in die Privatwirtschaft an den Schulen etwas bewirkt? Die Zweifel bleiben. Die Bildungsstäbe begnügen sich meist mit Kosmetik; sie bekämpfen die Symptome – mit attraktiveren Stellenportalen oder zusätzlichen Kommissionen. Wirksame Reformen aber sehen anders aus. Sie müssten dringend angegangen werden. Leidtragende sind sonst die Schulkinder.

Carl Bossard
Ehemaliger Direktor Kantonsschule Luzern und Gründungsrektor Pädagogische Hochschule Zug