17.08.2024
Förderklassen sind ein sinnvolles Angebot
Das offensichtliche Scheitern der bisherigen schulischen Integration verlangt pragmatische Lösungen, um aus der Dauerkrise herauszukommen. Dazu zählen auch schulinterne Förderklassen.
Die integrative Schule in radikaler Form überfordert das aktuelle Schulsystem. Seit bald zwanzig Jahren wird versucht, Kinder mit starken kognitiven Beeinträchtigungen und Schüler mit extremen Verhaltensauffälligkeiten in die Regelklassen zu integrieren. Der Aufwand ist gewaltig, doch die Resultate sind ungenügend. Die Klassenlehrpersonen sind am Anschlag, die integrierten Schüler fühlen sich überfordert und in manchen Klassen wird konzentriertes Lernen zur Ausnahme.
Benötigen einzelne Schüler aussergewöhnlich viel pädagogische Aufmerksamkeit, geht dies klar auf Kosten des Lernfortschritts der ganzen Klasse. Schwache Schüler wiederum, die mit dem Schulstoff generell überfordert sind, fallen im Unterricht zwar weniger auf. Aber sie sind die grossen Verlierer, da ihnen die Erfolgserlebnisse fehlen und sie sich in der Klasse oft ausgegrenzt fühlen. Die unbedingte Integration aller Schüler führt zu schulischen Tragödien, die sich im Rahmen einer gut betreuten Förderklasse nicht abspielen würden.
Mehr Integration erfordert Entschlackung des Lehrplans
Selbstverständlich gilt es, so viele Kinder wie möglich in die Regelklassen zu integrieren. Damit dies besser gelingt, muss die Schule aber einige Belastungsfaktoren reduzieren. So wären Überforderungen leistungsschwächerer Schüler seltener, wenn der überladene Lehrplan entschlackt und die zweite Fremdsprache aus dem Bildungsprogramm der Primarschule gekippt würde. Mehr Zeit zum Üben der Grundlagen im Deutsch und in der Mathematik käme vielen Schülern entgegen, die nicht gleich im ersten Anlauf einen Schulstoff verstehen. Doch den Bildungsverantwortlichen fehlte bisher der Mut, den Hebel zur Verbesserung der Integrationschancen am richtigen Ort anzusetzen.
Die Utopie einer Integration für alle erschwert gute Lösungen
In Schulen, wo die Belastung der Lehrpersonen durch die Integration das Zumutbare übersteigt, sind schulinterne Förderklassen für alle Beteiligten ein sinnvolles Angebot. Jede Schule sollte aber selbst entscheiden können, ob sie spezielle Förderungen in Kleinklassen oder in einer anderen Form wie beispielsweise einer Schulinsel einführen möchte. Die Ablehnung jeder separativen Förderung ist hingegen nicht länger akzeptabel, da pragmatische Lösungen so verhindert werden.
Die Antwort der Befürworter einer unbedingten Integration auf die offensichtlichen Probleme ist stets die gleiche: Es braucht viel mehr Fachpersonal und mehr finanzielle Mittel. Doch beide Forderungen sind, realpolitisch betrachtet, ziemlich utopisch. Moderne Kleinlassen, geführt von Fachpersonal, sind kein Fremdkörper in einem Schulhaus, wenn die Zusammenarbeit im Schulteam klappt. Kleinklassen sind sicher nicht zum Nulltarif zu haben, aber um einiges günstiger als ein schrankenloser Ausbau eines Fördernetzes mit zusätzlichem Fachpersonal. Wir können die Volksschule nur weiterentwickeln, wenn auf starre Dogmen verzichtet wird. Das hilft den Kindern mehr, als weitere zwanzig Jahre der unerfüllbaren Utopie einer Integration für alle nachzujagen.
Hanspeter Amstutz
Ehemaliger Bildungsrat und Sekundarlehrer, Fehraltorf ZH